Guten Morgen! Gerade noch frei in meinen Träumen, doch nun gefangen in der Realität. Ob es Vorfreude war oder doch eine negative Vorwarnung, als ich mir meinen Kopf beim Aufstehen anstieß, weiß ich noch immer nicht. Fest stand, dass ich viel zu spät dran war und nun einen wahrlichen Marathon hinlegen müsste, um vor der Busfahrt noch etwas frühstücken zu können. Also sprintete ich in den Frühstückssaal, schnappte mir ein Brötchen, holte mir einen Tee und setzte mich. Während ich mit einem Löffel hektisch meinen Tee umrührte, zeichneten meine Gedanken etwas in meinen Tee. Ich konnte noch einige Brücken, Gondeln und Kanäle erkennen, ehe der Traum seinen Lauf nahm.
Vorsichtig stieg ich aus dem Bus um die Temperatur zu überprüfen. Obwohl es noch Morgen war, war es schon angenehm warm in Norditalien, weshalb ich beschloss, meine Weste nicht mitzunehmen. Langsam spazierte ich mit meiner Gruppe zum Hafen, bei welchem wir ein Schiff bestiegen. Das kleine Schiff sollte uns in die „größte Fußgängerzone der Welt“, nämlich ins historische Zentrum Venedigs bringen. Es dauerte nicht lange, da legte das Schiff ab und nahm uns mit auf seine Reise.
Der morgendliche Wind verwehte meine Haare und die angenehme Morgensonne küsste mein Gesicht. Ich saß am Bug und fühlte mich in meinem knielangen Kleid wie in einem klassischen Liebesfilm, fehlten nur noch die anderen Darsteller. Nun ja, mit der Zeit konnte man links und rechts immer mehr von der Stadt Venedig sehen; Kirchen, Türme und Brücken soweit das Auge reichte. Während wir uns dem Festland näherten, genoss ich die schöne Aussicht und vergaß für einen Moment alle meine Sorgen.
Doch plötzlich wurde ich aus meinen Tagträumen gerissen. Das Schiff hatte mit schnellen Tempo angelegt und wir wurden dazu aufgefordert, es schnell zu verlassen. Traurig stieg ich aus dem Schiff und wollte mich erstmal in Venedig umsehen, da traf mich fast der Schlag – Touristen, Touristen überall.
Na klar, ich wusste natürlich, dass Venedig, vor allem im Sommer, voller Touristen ist, doch so viele Menschen hatte ich tatsächlich nicht erwartet. Egal wo man hin sah, überall sah man Menschen – Kleine, Große, Dicke, Dünne und vor allem viele Asiatische. Eh ja und die meisten verhielten sich komisch – normale Touristen fotografieren in Venedig Kirchen, Brücken oder Gondeln, doch diese Touristen fotografierten jeden noch so kleinen Stein doppelt und dreifach. Damit blockierten sie den Weg und verdeckten anderen Leuten minutenlang die Sicht. Das venezianische Flair, welches ich mir so oft erträumt habe, war gar nicht vorhanden.
Doch es wurde noch schlimmer. Wir spazierten von Brücke zu Brücke und von Brücke zu Brücke wurden es mehr Menschen. Der Höhepunkt wurde beim Markusplatz erreicht, auf welchem man sich aufgrund der Menschenmassen kaum bewegen konnte. Jammernd lief ich meinen Leuten hinterher und wünschte mir in dem Moment, nie nach Venedig mitgekommen zu sein.
So schnell wie sich auch meine Laune veränderte, änderte sich auch das Wetter. Die Sonne verschwand binnen Sekunden und es dauerte nicht lange, da begann es zu regnen. Zum Glück stand ein kurzer Aufenthalt im Markusdom am Programm, welcher mich zumindest kurzfristig vor dem Regen rettete.
Als wir die Kirche nach einigen Minuten wieder verließen, konnte ich meinen Augen kaum glauben. Der ganze Platz war fast leer, nur einige Menschen spazierten mit ihren Schirmen umher oder versuchten einen Platz in einem Cafe zu ergattern. Obwohl ich Regen überhaupt nicht mag und mir in meinem Kleidchen etwas kalt wurde, genoss ich es, wie die Tropfen langsam zu Boden fielen und die vielen Leute vom Platz vertrieben. Zu meinem Glück fand ich in der untersten Ecke meines Rucksacks noch einen Regenschirm und konnte den leeren Markusplatz betrachten, ohne dabei komplett nass zu werden.
Auch während des Mittagessens hörte der Regen nicht auf, was mich aber beim Essen meiner Lasagne nicht großartig störte. In einem etwas älteren Restaurant am Canal Grande genoss ich mein Essen und hob in meinen Tagträumen wieder in ein Venedig ab, wie es wohl vor vielen vielen Jahren aussah. Als ich den letzten Bissen meiner Lasagne runtergeschluckt hatte, blickte ich vom Balkon, von welchem ich die Rialtobrücke sehen konnte. Trotz des strömenden Regens, standen hunderte Touristen auf der Brücke und drängten herum, während wohl ein Wettbewerb um das schönste Foto mit den meisten fremden Menschen im Bild lief.
Ich hatte genug. Und der Regen auch. Als ich das Restaurant verließ, lichtete sich der Himmel und es hörte auf zu regnen. Die Sonne kam nicht heraus, dafür unzählige Touristen, die wieder ihre Runden zogen. Während ich mich beim selbstständigen Erkunden Venedigs umblickte, konnte ich etwas weiter weg vom Markusplatz eine fast leere Brücke finden, auf welcher ich noch ein Foto für meinen Instagramaccount schoss.
Das ist doch ironisch, dachte ich. Gerade auf Instagram sah ich immer so viele schöne Fotos von Venedig. Nun bin auch ich hier, wünschte mir ich wär es nicht und stelle selbst ein Foto auf Instagram. Yeah, I’m crazy. Doch was solls, immerhin konnte ich auf dieser kleinen Brücke noch etwas Stille und Ruhe genießen. Vor allem aber konnte ich mich hier fühlen, wie ich es mir immer in Venedig vorgestellt habe.
Während ich weiter durch die engen Gassen von Venedig spazierte, sah ich auch einige Einheimische, die mir unheimlich leid taten. Sie müssen das ganze Jahr über mit vielen tausenden Touristen klarkommen, haben nie ihre Ruhe und können vor lauter Menschenmassen manchmal nicht mal vor die eigene Tür.
In diesem Moment fühlte ich mich tatsächlich schlecht. Ich war ja selbst eine Touristin, die für den Touri-Wahnsinn hier sorgte und regte mich selbst die ganze Zeit über Touristen auf. Das stimmte zwar, jedoch trug ich für meinen Teil so viel bei und versuchte andere nicht zu blockieren oder zu belästigen. Sollte man, wie angekündigt, tatsächlich Maßnahmen ergreifen und pro Tag nur mehr eine bestimmte Anzahl an Touristen in sämtliche Städte, inklusive Venedig, lassen, wäre ich sehr glücklich darüber. Nicht nur für Einheimische wäre dies eine Entlastung, auch für die Touristen selbst. Leider ist es beim Tourismus oft so, dass nur auf Profit aus gehandelt wird, daher könnte ich mir gut vorstellen, dass Städte die Leute bestimmte Summen zahlen lassen würden, damit sie in die Stadt kommen und nicht nach einem „first come – first serve“-Prinzip arbeiten würden. Doch egal ob es nun etwas kosten würde oder nicht, eine Besucherbeschränkung wäre für alle Beteiligten ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Gedankenversunken spazierte ich also zurück zum Schiff und freute mich schon darauf, die Stadt wieder zu verlassen. Die Schiffsfahrt zurück konnte ich nicht mehr in der Form genießen wie die Hinfahrt, jedoch hatte ich nun endlich das Gewissen, wieder etwas mehr Ruhe zu haben. Venedig ist zwar schön, aber für mich nicht unbedingt eine Stadt, die ich gesehen haben muss. Klar trennen sich hier die Meinungen, jedoch zerstören für mich die vielen Menschen und ihre Art den Zauber der Stadt. Dies nehme ich für die schönen Ecken und Momente nicht unbedingt in Kauf, bin jetzt aber erleichtert, dass ich den Ausflug hinter mir habe und bald wieder in meinem kleinen Kaff durch die leeren Straßen spazieren kann.
In der gleichen Woche war ich auch einige Tage in Rom und hatte den Eindruck, dass es auch hier von Jahr zu Jahr mehr Touristen werden. Ich war zwar schon drei Mal in Rom, allerdings war dieses Mal viel mehr los, als jemals zuvor. In Rom hat man wenigstens das Glück, dass die Touristen auf die verschiedenen Sehenswürdigkeiten aufgeteilt sind und nicht alle gleichzeitig am gleichen Ort sind. Jedoch ist es auch hier meistens überall sehr voll, laut und unangenehm. Ein Foto ohne Menschen vorm Trevi-Brunnen? Unmöglich! – Selbst um drei in der Früh stehen hier hunderte Menschen. Ein Blick aufs Kollosseum? Ja gerne! – Mit 30000 Autos und Händlern vor einem. Am besten schleunigst heim und Zuhause die Erinnerungen und Erlebnisse in seinen eigenen vier Wänden im Bett Revue passieren lassen.
Ciao Italia!
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