In Zeiten der Ungewissheit wenden sich Menschen gerne der Spiritualität zu. Das scheint aktuell während der Corona-Krise ebenfalls der Fall zu sein, denn die Esoterik-Branche boomt wieder. Im Netz kommt man kaum noch an Horoskopen vorbei, aber auch Tarotkarten erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Doch was taugt das Kartenlegen überhaupt?
Tarot ist ein Kartendeck, das heute vor allem als Werkzeug in der Wahrsagerei und Psychologie genutzt wird. Was viele aber gar nicht wissen, ist, dass es auch ein beliebtes Kartenspiel im Europa der frühen Neuzeit (ca. 1500 - 1800) war. Insbesondere die Franzosen („Tarot“), die Italiener („Tarocchi“) sowie die Deutschen („Tarock“) – und unter ihnen Berühmtheiten wie Goethe oder Brahms – fanden großes Vergnügen am Tarot spielen.
Seine esoterische Bedeutung erlangte das Tarot erst im 18. Jahrhundert. Damals glaubte der einflussreiche französische Theologe Antoine Court de Gébelin eine tiefergehende Symbolik hinter den illustrierten Karten erkannt zu haben, welche er auf den Okkultismus der Alten Ägypter zurückführte. Obwohl es nie Beweise für Court de Gébelins Annahmen gab, übernahmen seither viele okkulte Bewegungen die Tarotkarten als Deutungssystem und machten sie auf diese Weise wieder populär.
Ein Tarot-Deck hat 78 Karten, die sich in zwei Sektionen unterteilen lassen. Beim Kartenlegen können sie sowohl zusammen als auch unabhängig voneinander verwendet werden:
Die „kleine Ankara“ besteht aus 10 Zahlen- und 4 Bildkarten in jeweils 4 unterschiedlichen Farben – also insgesamt 56 Karten. Damit erinnert der Aufbau weitestgehend an ein herkömmliches Spielkartenblatt, das man u. a. beim Skat verwendet. Die „kleine Ankara“ wird insbesondere gebraucht, um Antworten auf alltägliche Fragen zu liefern. Da die Bedeutungen der einzelnen Karten für ein ungeschultes Auge jedoch nicht direkt ersichtlich sind, wird Anfängern empfohlen, sich zunächst auf die „große Arkana“ zu konzentrieren.
Die „große Ankara“, die aus den restlichen 22 Karten besteht, bereitet uns auf die signifikanten Entscheidungen und großen Umbrüche in unserem Leben vor. Jede dieser Tarotkarten ist mit einer aussagekräftigen Illustration verziert und trägt zudem eine entsprechende Bildunterschrift. Allein aus diesem Grund sind die Bedeutungen der Karten meist viel naheliegender als die der „kleinen Ankara“. Zum Beispiel symbolisiert „Der Tod“ schlichtweg ein Ende oder den darauffolgenden Neuanfang, während „Der Narr“ je nach Kontext für Unbeschwertheit oder Naivität stehen kann.
Beim esoterischen Tarot existieren viele verschiedene Legemuster. Manche davon sehr komplex und richten sich nach spezifischen Fragestellungen, während andere simpel und universell anwendbar sind. Dazu gehört bspw. „Das kleine Kreuz“. Hierfür stellt man sich zunächst eine beliebige Situation vor, auf die man eine Antwort erhalten möchte, mischt daraufhin sein Tarot-Deck und breitet es ausgefächert vor sich aus. Dann zieht man vier Karten, formatiert diese zu einem Kreuz und deckt sie nacheinander auf: zuerst die linke, dann die rechte, die obere und zum Schluss die untere Karte. Das erste Bild beschreibt dabei nochmal die Ausgangslage, das zweite zeigt einem, was man in der aktuellen Situation zutun hat und die dritte, was man zulassen hat. Auf der Vorderseite der vierten Karte verbirgt sich schließlich die Antworte darauf, was einen erwartet, wenn man den richtigen Weg einschlägt.
Kartenlegern wird viel Misstrauen entgegengebracht. Das gilt vor allem für diejenigen unter ihnen, die sich für ihre Dienstleistungen auch bezahlen lassen. Zu verdanken haben sie den schlechten Ruf in erster Linie den zahlreichen Betrügern, die bekanntermaßen die Gutgläubigkeit ihrer Kunden ausnutzen, nur um möglichst viel Profit zu generieren. Das gelingt ihnen z. B., indem sie mit negativen Prophezeiungen wie Krankheiten oder gar dem Tod gezielt Ängste schüren, die die Menschen dann wiederum dazu verleiten, weitere esoterische Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Diese sollen ihnen nämlich dabei helfen, ihrem grausamen Schicksal letztendlich dennoch zu entfliehen.
Da es für die Zuverlässigkeit der Wahrsagerei aber ohnehin keinerlei wissenschaftliche Grundlage gibt, stehen prinzipiell alle Kartenleger, die ihren Kunden vermitteln, man könne mit Tarot akkurate Vorhersagen über zukünftige Ereignisse treffen, in der Kritik. Darum distanzieren sich Profis in der Regel von dieser Herangehensweise der Kartendeutung. Sie sprechen eher davon, dass die Karten uns vor Augen führen, was potentiell auf uns zukommen könnte, wenn wir auf Basis unserer Ausgangslage bestimmte Entscheidungen treffen. Doch auch in solchen Fällen haben Skeptiker etwas zu bemängeln: Es heißt, die Aussagen der Kartenleger seien - ähnlich wie bei Horoskopen - zu schwammig und ließen sich vermutlich auf die Lebensumstände der meisten Menschen mühelos übertragen.
Bringt es also überhaupt etwas, sich die Karten legen zu lassen?
Die Psychologie beschäftigt sich damit, menschliches Fühlen, Denken und Handeln mit Hilfe verschiedenster Methoden zu ergründen. Auch Bilder können dabei ein wichtiges Werkzeug sein. Man denke nur an den weit verbreiteten „Rorschach-Test“, bei dem Patienten lediglich ihre ersten Gedanken zu Darstellungen von Tintenklecksen äußern. Unbewusst trifft man während solcher intuitiven Verfahren bedeutungsvolle Aussagen, die es den Therapeuten u. a. ermöglichen, Rückschlüsse über das Selbstbild und die Weltsicht ihrer Klienten zu ziehen.
Da beim Tarot ebenfalls mit Bildsprache gearbeitet wird, gehört das Kartenlegen für einige Psychologen sogar zum festen Bestandteil ihrer Therapien. Aus psychologischer Sicht können Tarotkarten nämlich als eine Art visuelles Gleichnis gesehen werden, welches das (Innen-)Leben ihrer Patienten widerspiegelt. Denn bei dem Versuch, die Tarotkarten zu interpretieren, werden die Illustrationen und ihre Bedeutungen unmittelbar mit Vorgängen aus dem Leben des Klienten verknüpft. Bei diesem komplexen Vorgehen können sich einem vollkommen unentdeckte Perspektiven eröffnen, die dazu anregen, bestimmte Situationen nochmal zu reflektieren und darauf basierend neue Lösungsansätze für seine Probleme zu finden.
Mit Tarotkarten lässt sich die Zukunft aller Wahrscheinlichkeit nach nicht konkret vorhersagen. Somit müssen diejenigen, die sich tatsächlich erhoffen, durch das Kartenlegen zu erfahren, wann sie ihren Traumpartner treffen oder ob sie eine Jobzusage erhalten werden, mit Enttäuschung rechnen. Stattdessen ist Tarot aber sehr wohl ein – sogar von Psychologen anerkanntes – Hilfsmittel, welches einen dabei unterstützen kann, sein Innerstes zu erforschen.
Wer also neugierig geworden ist, kann sich mal auf YouTube umschauen. Viele Kartenleger bieten dort unter dem Stichwort „Pick a Pile“ kostenlose Online-Lesungen zu verschiedenen Fragestellungen an. Die meisten dieser Videos sind in der Regel mit bis zu vier vorbereiteten Lesungen gefüllt, unter denen man sich für eine intuitiv entscheiden muss.