Das kanadische 'Indian Residential School System' war ein großes Netzwerk von Internaten für Indigene Kinder, unterstützt von der kanadischen Regierung und verwaltet von christlichen Kirchen. Bereits 1834 öffnete die älteste Residential School 'Mohawk Institute' in Brantford, Ontario, die Türen, und das schon bevor der Staat Kanada 1867 überhaupt erst gegründet wurde. Und obwohl 30 Jahre nach Eröffnung dieser ersten Schule eine Abkehr von der dahinterstehenden Ideologie eintrat, wurden die letzte Schule erst 1996 geschlossen.
Etwa 150 Jahre lang besuchten also insgesamt rund 150 000 indigene Kinder die circa 130 Internate. Schätzungsweise 90% der SchülerInnen kamen aus First Nations, der Rest waren Inuit und Métis. Mindestens einige Tausende kehrten nie wieder zu ihren Familien zurück, viele davon kamen ums Leben.
Und wofür genau die 'Ureinwohnerkinder' in diese Schulen geschickt wurden, könnt ihr euch vielleicht auch schon denken. Ziel war es, sie zwangsweise in die von den europäischen Einwanderern und ihren Werten geprägte kanadische Gesellschaft zu einzugliedern, indem sie ihre indigene Kultur, Sprache und Identität unterdrückten und zerstörten. Kanadas erster Premierminister John A. Macdonald war von dieser Assimilierung und der Auslöschung ihrer Kultur stark überzeugt und vertrat die Meinung, dass wenn das Kind bei seinen Eltern in der Reservation bliebe, dann würde es vielleicht lesen und schreiben lernen, "ist aber einfach nur ein Wilder, der lesen und schreiben kann".
Die indigenen Kinder wurden deshalb aus ihren Familien gerissen, den Eltern drohte bei Verweigerung Strafverfolgung, und viele sahen über Monate, manchmal auch Jahre hinweg ihre Eltern nicht. Einige sogar nie wieder. Nach Ankunft in den Residential Schools, oft Hunderte von Kilometern entfernt, wurden den Kindern direkt ihre oft traditionellen langen Jahre abgeschnitten, in Uniformen gesteckt und grundsätzlich durften sie ihren Traditionen nicht nachkommen und ihre Muttersprache nicht sprechen.
Die Schulbildung in den Residential Schools wurde von der Regierung als "Lösung des Indianerproblems" gesehen. Ihrer Meinung nach sei der Einfluss der indigenen Familien und Stämme stärker als der der Schule, weshalb die Kinder dauernd in einem Umfeld "zivilisierter Bedingungen" gehalten werden mussten.
Um diese Ideologie, welche die Kultur und religiöse Überzeugung der Ureinwohner als minderwertig ansieht, durchsetzen zu können, wurde, was eine Überraschung, Gewalt angewendet. Ich habe von so vielen grausamen Erlebnissen gelesen, die ich hier gar nicht alle erwähnen kann und möchte. Die Schulen waren unterfinanziert, die Kinder wurden nicht ausreichend ernährt und gekleidet, und ansteckende Krankheiten haben sich schnell verbreitet. Die dunkelste Seite dieser Internate war der sexuelle Missbrauch, welcher erst Anfang der 1990er Jahre ans Licht kam. Viele der Überlebenden hatten lange Angst davor, darüber zu sprechen, was ihnen in ihrer Zeit in den Residential Schools ergangen ist. Einer der ersten, die all ihren Mut zusammennahmen, war Phil Fontaine und erklärte, dass jeder einzelne seiner 20 Mitschüler seiner dritten Klasse ähnliche Erfahrungen gemacht habe.
Dieser physische, emotionale und sexuelle Missbrauch, die Vernachlässigung und die starke Sehnsucht nach der Heimat drängten einige Kinder in den Suizid oder sie flüchteten, manchmal auch mitten im Winter, wo sie dann verhungerten und erfroren.