Im Gegensatz zu Europa, in dem es in den letzten Jahrhunderten als Geschlechter nur „männlich“ und „weiblich“ gab, entwickelten und akzeptierten andere Kulturen schon viel früher verschiedene Geschlechtsidentitäten. Die indigenen Völker Nordamerikas nutzen seit den 1990er hierfür den Begriff „Two-Spirits“, den es so nur im Englischen gibt und nur auf indigene Personen anwendbar ist. Er löst die diskriminierende Fremdbezeichnung „Berdache“ ab, die Europäer entwickelten. In den indigenen Sprachen und Kulturen gibt es eigene Bezeichnungen, die sich teils voneinander unterscheiden.
Begriffserklärung
Mit Two-Spirits waren laut Indian Health Service Menschen gemeint, die biologisch meist männlich oder weiblich, manchmal auch intersexuell waren und Aufgaben von Männern und Frauen kombinierten und dabei Merkmale hatten, die speziell für Two-Spirits waren. In vielen Stämmen galten sie weder als Mann noch als Frau und besaßen einen separaten Status. Dieser fächerte sich je nach Stamm auf in Two-Spirits (allgemein), Two-Spirit-Frauen und Two-Spirit-Männer und demnach hatten die verschiedenen Stämme zwischen drei bis fünf Geschlechterbegriffe, manche sogar noch deutlich mehr.
Oft wurden sie anhand ihrer Aufgaben einem Geschlecht zugeordnet. Männer übernahmen Jagd und Politik, Frauen das Kochen, die Kindererziehung, Landwirtschaft und das Herstellen von Kleidung. Two-Spirits waren in dieser Hinsicht Menschen, die sich über ihr biologisches Geschlecht hinwegsetzten und sich mit Aufgaben identifizierten, die eigentlich dem „anderen“ Geschlecht zugeordnet waren. Zusätzlich dazu kleideten sie sich oft anders als für ihr biologisches Geschlecht üblich oder wählten andere soziale Rollen. Dies unterschied sich natürlich individuell stark. Oft gingen Two-Spirits auch gleichgeschlechtliche Beziehungen mit Nicht-Two-Spirits ein.
Spirituelle Rolle
Ein besonderes Merkmal ist, dass Two-Spirits meist auch spirituelle Rollen und Aufgaben übernahmen. Sie waren beispielsweise Heiler, Bestatter oder Schamanen, da man glaubte, dass ihre Geschlechteridentität Folge übernatürlicher Kräfte war. Sie galten als mysteriös und damit gleichzeitig auch als mächtig. Sie werden daher heute auch als Führungskräfte und fundamentale Komponente der Klans bezeichnet
Beim Stamm der Zuni galten Two-Spirits als Geisteswesen, die aus einer vergangenen Zeit stammten, in der Menschen beide Geschlechter vereinten und damit als vollkommenes Ganzes galten. Daher genossen Two-Spirits hier ein hohes Ansehen.
Wandel durch Kolonialismus
Als die Europäer kamen, geriet die hohe gesellschaftliche Stellung vieler Two-Spirits ins Wanken und allmählich in Vergessenheit. Die neuen Siedler sahen in dieser für sie neuen Form der Sexualität einen unmoralischen und perversen Akt. Wie bis weit ins 20. Jahrhundert bei uns üblich, galten sie als abnormal und wurden folglich häufig Opfer von Gewalt und Diskriminierung.
Viele Stämme verdrängten die verschiedenen Geschlechtsidentitäten aus ihrer Gesellschaft und wandten sich dem binären Geschlechtssystem zu. Two-Spirits übernahmen keine speziellen Aufgaben mehr und wurden laut Rainbow Resource Center als „soziale Versager“ angesehen. Dieser Zustand hält bis heute oft an.
Indigene Mitglieder der LGBTQIA+ Community erfahren oft besonders starke Diskriminierung, die nicht nur aufgrund ihrer Ethnizität ausgegrenzt wird, sondern auch aufgrund ihrer Sexualität und diese Art der Diskriminierung ihnen auch innerhalb ihrer eigenen ethnischen Gruppe widerfährt.
Laut einer Umfrage in Kanada besitzen indigene Transgender das höchste Selbstmordrisiko, von ihnen gaben im Jahr 2018 37% an, im vergangenen Jahr einen Selbstmordversuch unternommen zu haben.
Wiederaufleben der Tradition
Seit den 1990ern ist viel passiert, nicht nur die Einführung des Two-Spirits Begriffes, sondern seitdem finden regelmäßig Konferenzen und Versammlungen für ihre Rechte und Rehabilitierung statt. Manche Gemeinden lassen die Tradition langsam wieder aufleben, benutzen aber ihren eigenen historischen Ausdruck für Two-Spirits.
Nach so vielen Jahren ist jedoch kein nahtloses Anknüpfen an vergangene Bräuche möglich. Oft beschränkt sich die Bezeichnung nur auf die sexuelle Identität und ist nicht so weitreichend wie ursprünglich. Heutige Two-Spirits bezeugen jedoch allmähliche Fortschritte bei der Anerkennung ihrer Identität.
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