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Die Stille der Unendlichkeit818-06-2015 16:40

 MeldenDie Stille der Unendlichkeit
Huhu ihr Lieben! 

Momentan schreibe ich an einem kleinen Projekt, hier findet ihr das erste Kapitel davon. :) Enjoy reading! ♥





-Klappentext-

"Weißt du was dein Problem ist? Du versuchst mit deinem Leben ihres zu retten. Doch dabei wirst du nur Beide verlieren." Zea hat nur einen Wunsch: Ihre Schwester lächeln zu sehen. Um dieses Ziel zu erreichen, gibt sie alles auf: Ihre Freunde, ihre Freizeit, ihre Jugend. Zeas Schwester Maya leidet an der unheilbaren Krankheit NCL, eine Krankheit deren Ende der Tod ist. Und doch verliert sich Zea vollkommen in der Hoffnung, Maya ein schönes Leben schenken zu können. Bis zu dem Tag, an dem Zea einen Jungen kennenlernt, der ihr eine Welt zeigt, die sie längst vergessen hatte... Eine Geschichte über den Tod und das Leben, über Verzweiflung und Hoffnung, über Wut und Liebe. Eine Geschichte über alles und gar nichts. Zeas Geschichte.

-Eins-                                

 Als ich die Augen öffnete, erwartete mich pure Dunkelheit, die sich auch nach mehrmaligem Blinzeln nicht vertreiben ließ. Blind tastete ich nach meinen Vorhängen. Doch auch, als ich diese fand und zur Seite zog, drang kaum Licht in mein Zimmer. Draußen tanzten die Bäume im Wind und der Regen prasselte aufs Fenster, als wolle er es durchbrechen. Ich seufzte und ließ mich rücklings aufs Bett fallen. Auch ohne das ich mein Gesicht berührte, wusste ich, dass meine Wangen nass vor Tränen waren. Es war nicht das erste Mal, dass mich dieser Traum aus meinem Schlaf riss. Seit es einmal angefangen hatte, hörte es nicht mehr auf. Leise stand ich auf und schlich zu ihrem Bett. Maya lag scheinbar friedlich da, nur ihr rasselnder Atem war zu hören. Und doch beruhigte mich dieses Geräusch, denn es bedeutete, dass Maya noch lebte. Sie war nicht tot. Nicht wie in meinem Traum. Ich traute mich nicht das Licht anzumachen, denn ich wollte sie nicht wecken. Also legte ich meine Hand auf die Stelle, wo ich ihre engelsgleichen Locken vermutete, und strich sanft darüber. Minuten vergingen, während ich am Bett meiner Schwester stand und ihr beim Schlafen zusah. Schließlich drehte ich mich um, und ging zurück in mein eigenes Bett. Weitere Augenblicke verstrichen, während ich dem Unwetter draußen zusah. Egal, wie spät es war, ich würde in dieser Nacht nicht mehr genug Schlaf kriegen. Aber das tat ich nie.
*
»Guten Morgen Zea!«, flötete meine Mutter, kaum hatte ich die Küche betreten. »Morgen Ma,«, antwortete ich. Nachdem ich mir schnell eine Schüssel Cornflakes gemacht hatte,  setzte ich mich an den Tisch zu meiner Mutter. »Hab ich dich heute Nacht geweckt?«, fragte sie mich sogleich. Maya musste in der Nacht mehrmals umgedreht werden, etwas, was sie aus eigener Kraft nicht mehr schaffte. Ich schüttelte den Kopf. »Alles gut.« Ich wollte noch hinzufügen,  dass ich super geschlafen hatte,  hinderte mich aber dann doch noch selbst an dieser Lüge. Meine Eltern wussten,  dass mir dieser Traum den Schlaf raubte und ich wusste, dass sie die Nächte oft mit Nachdenken und Weinen verbrachten. Ich wollte nicht,  dass wir anfingen solche Dinge voreinander zu verheimlichen. Das Frühstück fiel schweigsam aus, ich war kein Mensch der morgens viel zu sagen pflegte. Ein kurzer Blick auf die Uhr  zeigte mir,  dass sich der Zeiger unaufhörlich auf halb acht zubewegte. Ich musste gleich los, sonst kam ich zu spät. Was wahrscheinlich keinen Lehrer stören würde,  denn sie waren genauso wie wir geistig längst in die Osterferien abgedriftet. Aber es gab für mich nicht grässlicheres, als die Blicke und das Tuscheln deiner Mitschüler, wenn man zu spät die Klassenzimmertür öffnete. Darum nahm ich mir einen Apfel, schmierte mir ein Brot und füllte eine Flasche mit Wasser. Danach packte ich alles in meine Tasche,  drückte meiner Mutter einen Kuss auf die Wange und war auch schon zur Tür hinaus. In einem gemächlichen Tempo ging ich den gewohnten Weg entlang. Noch war außer meinen dumpfen Schritten nichts zu hören,  die ersten Schüler würde ich wahrscheinlich erst in einigen Minuten antreffen. Nicht das wir uns unterhalten würden. Es war nicht so, als hasste ich meine Mitmenschen, keineswegs. Sie hatten nichts getan. Das Problem war eher, dass ich nichts tat. Ich lebte nebenbei,  unbedacht. Sie sahen mich, aber ich glaube,  sie nahmen mich mittlerweile nicht mehr wirklich wahr. Sie ärgerten mich weder,  noch ließen sie sich über mich aus. Für sie war Zea einfach nur Zea aus Französisch, Mathematik oder einem anderen verhassten Fach. Aber das war in Ordnung so, denn für mich waren sie auch nur ein Meer fremder Gesichter.
Mittlerweile drang das Geschnatter einer Gruppe Mädchen zu mir durch. Allesamt viel zu leicht bekleidet für dieses noch recht kühle Aprilwetter. Meine Füße trugen mich weiter Richtung Schule, während meine Gedanken weiterhin ihre eigenen Wege gingen. Bald hatte ich Ferien,  bald würde ich Zeit für Maya haben.
*
Ich betrat den Raum  fünf Minuten vor dem Klingen. Wie gewohnt setze ich mich auf meinen Platz,  um sogleich von Lea begrüßt zu werden. »Hey Zea.« Lea war meine beste Freundin. Oder ist. Um ehrlich zu sein, hatte ich keine Ahnung,  wie wir noch zueinander standen. Sie saß neben mir in Geschichte,  grüßte mich immer und fragte manchmal nach Maya. Keine langen Telefonate, Ausflüge in die Stadt oder allseits bekannte Mädchenabende. Jedenfalls nicht mehr. Früher gab es so etwas zu Genüge,  Stunden in denen wir nur lachten. Früher musste ich mich nicht fragen, ob Lea meine beste Freundin war,  weil ich genau wusste dass sie es ist. »Hi«, antwortete ich. Immerhin hatte ich keinen Grund unhöflich zu sein, mal davon abgesehen,  dass man mit siebzehn ein gewisses Maß an Reife besitzen sollte,  dass einen daran hindert sich gegenseitig anzuschweigen und zu ignorieren. Geschichte verging,  ebenso die darauf folgenden Stunden. Zwischendurch hatte ich eine Freistunde,  die ich dazu nutze um in der Bibliothek neue Bücher auszuleihen. Ich würde sie Maya vorlesen,  oder Papa würde das tun. Er war eindeutig der bessere Erzähler.
Nachdem sowohl die Freistunde als auch der Rest des Tages ereignislos vorbeigezogen war,  konnte ich endlich wieder nach Hause gehen. »Ich bin wieder da!«, rief ich, kaum hatte ich die Tür aufgeschlossen. »Wohnzimmer«, kam die ziemlich knappe Antwort. Meine Schuhe und die Tasche im Flur liegend lassend,  ging ich zu meiner Familie. Maya lag in den Armen meines Vaters,  und meine Mutter hielt eine Zeitschrift in der Hand. Zuallererst küsste ich meine Schwester auf die Stirn und meinem Papa auf die Wange,  dann setze ich mich neben Ma. »Irgendwelche Anfälle heute?«, erkundigte ich mich. »Nur die üblichen.« Maya litt schon lange an epileptischen Anfällen. Hunderte, tausende, minimale Zuckungen jeden Tag.
»Was liest du da?« Ich guckte meiner Mutter über die Schulter. »Ein Artikel in der neuen UKE-Zeitung.« Schräg überflog ich ebenfalls den Artikel. »…ihr Sohn leidet an spätinfantiler  Neuronaler Ceriod-Lipofuzinose (NCL2), einer unheilbaren Krankheit,  bei der Kinder schrittweise ihr Augenlicht verlieren, die Fähigkeit zu sprechen, sich zu bewegen,  zu schlucken und mit Krampfanfällen zu kämpfen zu haben…« Dies wusste ich alles schon, immerhin sah ich es tagtäglich selbst. Enttäuscht lehnte ich mich wieder zurück. Kurz war die Hoffnung in mir aufgekeimt,  etwas Neues zu erfahren. Neue Studien,  neue Erfahrungen. Aber so war es mit der Hoffnung: Sie blühte auf, leuchtete in den prachtvollsten Farben,  wie die ersten Blüten des Frühlings. Und doch würde immer jemand kommen, der diese Blume ausrupfen wird,  und mit ihr all den kraftvollen Glanz, den sie verbreitet hatte. Die Blumen die in unserem Garten aufgeblüht waren, nur um wieder zu vergehen,  könnten in ihrer Masse wohl die Tulpenfelder Amsterdams übertrumpfen.

-Zwei-                                       
Wenn wir zusammen am Esstisch saßen,  könnten wir eine normale Bilderbuch-Familie sein. Da Papa heute keine Arbeit hatte,  hatte er sich ums Abendessen gekümmert,  sodass es Thunfischsandwishs gab. Das Einzige, was er genießbar servieren konnte. Ich aß und guckte schweigsam meinen Eltern zu. Papa erzählte gerade Ma etwas über ein neues Projekt,  das seine Firma starten wollte,  während Ma meine Schwester mit Brei fütterte. War es nicht komisch?  War es nicht komisch,  dass, obwohl sich unser Leben vor drei Jahren so plötzlich verändert hatte, wir trotzdem wieder in einen Alltag gefunden hatten?  Dass meine Eltern nicht aufgehört hatten sich zu lieben, dass mein Vater weiterhin arbeitet,  dass meine  Mutter ihr Lächeln nicht verloren hatte? Selbst jetzt,  wo sie mühsam um jeden Bissen mit Maya kämpfte,  eine unglaubliche Stärke ausstrahlte?  Merkte man eigentlich selbst,  wie man auf andere wirkte?  Wusste Ma, dass ihre Freude uns glücklich machte,  und wusste Papa, dass seine Ruhe uns Sicherheit bot? Wenn ich vergaß,  dass Maya krank war, dann hätte ich in diesem Augenblick die schönste Familie der Welt. »Zea?« Die Stimme meiner Mutter riss mich aus meinen Gedanken. »Was?« »Fängst du schon an das Geschirr in die Spüle zu räumen? Wir bringen Maya ins Bett.« Ich nickte. Heute würde Maya wieder bei meinen Eltern schlafen. Nur einmal, früher auch zweimal,  in der Woche schlief sie bei mir. Ich wünschte,  sie würde es immer tun.

Während ich alles einräumte,  summte ich leise vor mich hin. Ein Lied von den Backstreetboys,  meine Lieblingsband.
Später schaute ich mir kurz eine Sendung,  deren Namen mir entfallen war,  mit meinen Eltern an. Da sie mich jedoch nicht allzu sehr interessierte,  wünschte ich ihnen schnell eine gute Nacht und ging ins Bett. Ich hatte vieles versucht,  um diesen Traum zu vermeiden. Später einschlafen, früher aufstehen,  oder andersrum. Es half kaum etwas. Manchmal war ich so müde,  dass mir tatsächlich eine traumlose Nacht gegönnt war, aber dafür plagten mich am darauf folgenden Tag Kopfschmerzen. Deswegen ging ich zügig zu Bett und war auch schon kurz danach in den Schlaf geglitten.
*
Als mich in dieser Nacht dieser schreckliche Traum weckte,  war es fünf Uhr morgens.  Ich wusste nie,  was genau passiert war,  ich wusste nur,  dass es immer mit Mayas Tod endete. Endlose Augenblicke lag ich in meine Bettdecke gewickelt da, darauf wartend das sich die Zeit erbarmte und es endlich sechs wurde. Dann würde ich aufstehen. Duschen,  anziehen und zum Bäcker gehen. Ich würde Brötchen kaufen. Gedanklich nahm ich mir weitere Aufgaben für den heutigen Tag vor. Ich würde auf jeden Fall was mit Maya machen. Eines der Bücher vorlesen,  die ich gestern ausgeliehen hatte. Ob wir wohl in den Park gehen dürften?  Es würde sie jedenfalls sehr freuen,  da war ich mir sicher. Als ich schließlich zehn vor sechs war,  hielt ich es nicht mehr in meinem Bett aus. Schnell waren die ersten Punkte meiner imaginären Liste erledigt und eine Stunde später befand ich mich schon auf dem halben Weg zum Bäcker. Seit der Alte in unserer Nähe geschlossen hatte,  musste ich immer mit dem Fahrrad dorthin, und der Wind peitschte mir unaufhörlich ins Gesicht. Warum konnte es im Frühling nicht wärmer sein? Ich wusste noch,  wie sich Ma gefreut hatte, als meine kleine Schwester im Mai geboren wurde,  der Monat durch den sie ihren Namen bekam. »Sie wird ihren Geburtstag immer bei Sonnenschein feiern«, hatte sie gesagt. Momentan würde es mich jedoch nicht wundern,  wenn wir auch Mitte Juni noch so ein scheußliches Wetter hätten.
Schließlich beim Bäcker angekommen, umhüllte mich gleich der Geruch und die Wärme des frischen Brotes. Ich stellte mich in die verhältnismäßig lange Schlange. Warum waren heute so viele schon vor acht Uhr beim Bäcker?  Es war Samstag,  schliefen da nicht noch die meisten?  Obwohl, die Erwachsenen werden wohl zur Arbeit müssen. Langsam kam ich der Theke immer näher und schließlich konnte ich die Brötchen kaufen. Mit der Tüte in der Hand begab ich mich wieder in die Kälte. Doch mit meinem Vorhaben, mich wieder aufs Fahrrad zu schwingen und nach Hause zu fahren,   wurde nichts, als ich auf einmal den Boden unter den Füßen verlor. Ich hatte noch nicht einmal ganz realisiert,  dass ich gestolpert war,  als ich mit Knien und Hände schmerzhaft auf dem Asphalt aufkam. Ich unterdrückte ein Fluchen und sah mich nach der Tüte um. Natürlich war die diese aufgegangen und ein paar Brötchen waren rausgerollt. Ich wollte gerade wieder aufstehen,  als mir jemand plötzlich die Hand vors Gesicht hielt. »Hast du dich verletzt?« Perplex starrte ich erst die Hand und dann den Jungen,  zur dem sie gehörte,  an. »He,  alles in Ordnung?« Erst jetzt bemerkte ich, dass ich noch keine Antwort gegeben hatte,  also nickte ich schnell. Da es wohl das Maß an Unhöflichkeit übersteigen würde, seine Hand zu ignorieren, nahm ich sie und er zog mich hoch. »Danke«, murmelte ich leise,  drückte mich an ihn vorbei und machte mich daran die Brötchen aufzuheben. Ich würde sie mit Maya an die Enten verfüttern,  das war besser, als sie wegzuschmeißen. Alle beisammen,  drehte ich mich wieder um. Der Junge stand immer noch an gleicher Stelle. Sollte ich einfach ohne ein Wort zurück zu meinem Fahrrad gehen? Wäre sicherlich das Beste. »Danke nochmal«, sagte ich schließlich. »Kein Problem. Auf Wiedersehen.« Er sah mich noch einmal kurz an, dann ging er. »Tschüss...«, antwortete ich, aber da war er schon längst wieder verschwunden.
Als es Mittag wurde,  und die Sonne an ihrem höchsten Punkt stand,  gingen wir in den Park. Maya saß gut eingewickelt in ihrem Rollstuhl, Ma schob sie und ich folgte den beiden. Papa war kurz nach dem Frühstück zur Arbeit gefahren. Wir suchten uns einen ruhigen Platz, und setzen uns erstmal hin. Maya konnte nichts sehen,  aber ich war mir sicher, dass sie angeregt den Klängen der Natur lauschte. Sie war früher auch immer gerne draußen gewesen,  hatte gelacht und getobt. Sie war voller Energie und Tatendrang,  wollte mit ihren kleinen Händen die Welt entdecken. Und jetzt saß sie da,  noch nicht mal in der Lage,  mit mir die Fische im Teich zu beobachten.
Ich unterhielt mich eine Weile mit meiner Mutter über die belanglosesten Sachen.
Danach stand ich auf und beschloss Maya durch den Park zu schieben. »Wir sind gleich wieder da Ma.« Sie nickte.  »Bis gleich,  ich warte hier.« Während ich Maya schob,  beschrieb ich ihr mit leiser Stimme unsere Umgebung. Ich erzählte ihr vom Eichhörnchen, das zwischen den Bäumen umher huschte, von dem Jungen,  der seinen Vater um ein Eis bat, und von all den anderen alltäglichen Sachen. Manchmal nickte Maya,  oder gab einen undefinierbaren Laut von sich. Richtig sprechen tat sie gar nicht mehr,  und so freuten mich auch diese kleinen Reaktionen. Ich war gerade dabei,  ihr das Treiben am Springbrunnen zu beschreiben,  als mir jemand auf die Schulter tippte. Erschrocken drehte ich mich um, nur um den Jungen von heute Morgen zu erblicken. »So sieht man sich wieder«, grinste er mich an. Ich hingegen brachte kein Wort heraus. »Ist das deine Schwester?« Er ging an mir vorbei und kniete sich vor den Rollstuhl hin. »Wie heißt du denn, Kleine?«, fragte er sie. »Sie heißt Maya«, sagte ich. »Maya also? Ist deine große Schwester immer so schweigsam?« Ich warf ihm einen verärgerten Blick zu. »He,  du brauchst nicht schüchtern zu sein, Maya«, fuhr er fort,  ohne mich zu beachten.  »Sie ist nicht schüchtern.« Der Junge sah mich verwundert an. »Sie ist nicht schüchtern«, wiederholte ich und presste die Lippen zusammen, »sie kann nicht sprechen.« Der Junge schwieg,  sah erst Maya an und dann wieder mich. »Das ist schade.« Ich nickte. Schade,  so konnte man es natürlich auch ausdrücken. »Wie heißt du?«, fragte er. »Ich?« »Natürlich«, er grinste abermals und sah sich gespielt um, »ich sehe hier kein anderes Mädchen,  deren Name mich interessieren würde.« Ich spürte,  wie die Röte langsam in meine Wangen kroch. Gott,  was war mit mir los? »Zea.« »Kein gewöhnlicher Name.« »Vermutlich nicht.« Das Schweigen,  das zwischen uns entstand,  war noch unangenehmer als das Gespräch. »Ich, ähm, wir müssen weiter. Tschüss?« Mir war klar,  dass meine Verabschiedung mehr nach einer Frage klang als nach etwas anderem. Das war wohl auch der Grund,  warum er sie ignorierte. »Willst du meinen Namen nicht wissen?« »Was?  Oh,  doch,  klar. Wie heißt du?«
»Levin.«
Wieder sahen wir uns still an. Dann grinste er schon wieder,  sagte: »Auf Wiedersehen Zea«, und ging. Er ging einfach,  genau wie er morgens beim Bäcker gegangen war. Ich blickte ihm hinterher,  nicht wissend wie ich diese merkwürdige Begegnung bewerten sollte. Ich konnte Levins Konturen nur noch unscharf erkennen,  als er auf einmal rief: »Zea!« »Was?«, rief ich zurück. »Verlieb dich nicht,  ich mag keine Klischees.«

-Drei-

Während ich Maya zurückschob,  widmete ich Levins frecher Bemerkung mehr Gedanken,  als sie es überhaupt wert war. Nun gut, man bekam nicht jeden Tag hinterher gerufen,  dass man sich nicht verlieben sollte. Wen meinte er überhaupt damit? Doch nicht etwa sich selbst? Wieso sollte ich mich bitteschön in ihn verlieben?  Wieso sollte ich mich überhaupt in den nächsten Jahren verlieben? Ich schüttelte den Kopf,  um das Gedankenkarussell zu stoppen. Ich kannte ihn nicht,  ich mochte ihn nicht,  und jetzt sollte ich mich wirklich wichtigeren Dingen zuwenden. Ein Blick auf Maya zeigte mir,  dass sie eingeschlafen war, also ging ich schweigend weiter. Bei Ma angekommen  beschlossen wir nach Hause zu gehen. Wir waren nicht lange im Park gewesen,  aber ein Blick in den Himmel entlarvte die dunklen, Regen versprechenden, Wolken.

Tatsächlich,  kaum fiel die Haustür hinter uns ins Schloss, fing es auch schon an wie aus Strömen zu gießen. »Puh,  das war knapp«, sagte meine Mutter und lächelte. Gemeinsam brachten wir Maya zu Bett,  bevor wir dann in die Küche gingen. Ma fing an das Mittagessen vorzubereiten, während wir uns unterhielten. »Hast du irgendwas für die Ferien geplant?«, fragte sie mich. Ich zuckte mit den Schultern, auch wenn sie dies, da sie mit dem Rücken zu mir stand, nicht sehen konnte.

»Nein,  eigentlich nicht. Wieso?«

»Ich frage nur. Du warst lange nicht mehr weg.«

»Ist schon in Ordnung.«

Nun drehte sich meine Mutter doch zu mir um. »Zea,  du kannst nicht immer hier drinnen rumhocken. Sonst endest du noch wie ich.« Sie lachte,  doch ich sah trotzdem ihren sorgenvollen Blick. »Wirklich Ma, mir geht’s gut. Ich werde Lea anrufen, okay?« Kurz durchzuckte mich das schlechte Gewissen,  angesichts dieser Lüge,  die mir so leicht über die Lippen gekommen war. Dabei wollte ich lediglich meine Mutter beruhigen. Zum Glück gab sie sich mit dieser Antwort zufrieden,  und widmete sich wieder dem Gemüse. Ich für meinen Teil verzog mich für einige Minuten in mein Zimmer,  bevor ich mich leise zu Maya schlich. Es klang komisch,  aber meiner Schwester beim Schlafen zuzusehen,  wirkte besser als es je ein Antidepressivum könnte. Ihre sanften Gesichtszüge ließen mich schwer und leicht zugleich fühlen. Schwer,  weil ich mich fragte,  wieso ein solch unschuldiges Geschöpf so viel Leid ertragen musste. Gab es nicht genügend Menschen,  die solch grausame Krankheiten mehr verdient hatten?  Warum musste es meine wundervolle kleine Prinzessin sein? Und leicht,  weil ich hoffte,  das sie wenigstens im Schlaf Erlösung fand. Das ihre Träume ihr einen Weg aus diesem ungerechten Körper boten. Ein leises Seufzen entfuhr mir. Ich hatte es immer als unerträglich gekünstelt empfunden,  wenn in Filmen die bekannten drei Wörter fielen. Und doch sprach aus mir nur die Wahrheit,  wenn ich sagte,  dass ich Maya mit aller Hingabe liebe.

*

»…so begann die Freundschaft zwischen der kleinen Momo und den Leuten der näheren Umgebung.« Ich legte das Lesezeichen in die entsprechende Stelle und klappte das Buch zu. »Das war’s für heute Maya.« Meine Schwester saß,  an mich gelehnt da und mit Kissen gestützt, und lächelte leicht. Ich hauchte ihr gerade einen Kuss auf ihren Scheitel,  als die Tür aufging. »Hier seid ihr also.« Papa stand im Türrahmen. »Hallo Papa«, sagte ich und winkte. »Hallo ihr Süßen.« Er kam auf uns zu, umarmte erst mich und hob dann Maya hoch. Als er sie kitzelt,  konnte er ihr sogar ein kleines Lachen entlocken. Dann sah er mich mit gespielter Entrüstung an. »Habt ihr etwa schon ohne mich weitergelesen?« Ich musste ein Grinsen unterdrücken. »Wie kommst du denn da drauf?« »Lass mich mal überlegen... vielleicht, weil sich das Lesezeichen 0,5 cm weiter unten befindet?« Nun mussten wir beide lachen. Plötzlich kam mir etwas in den Sinn. »Werdet ihr Maya wieder auf die Schule schicken?« Maya war nur sechs Monate auf die Blinden- und Behindertenschule in der Nähe gegangen,  dann hatte sich ihr Zustand so rapide verschlechtert, dass sie dazu in den letzten Wochen nicht mehr in der Lage gewesen war. Momentan ging es ihr wieder besser,  nur das Sprechen schien sie endgültig verlernt zu haben, doch ich wusste nicht, ob die Schulpflicht immer noch galt. War das nicht eine Ironie?  Selbst wenn man wahrscheinlich nie seinen Abschluss machen wird, muss man trotzdem in die Schule.

Mein Vater zuckte ein wenig ratlos mit den Schultern.

»Mal sehen was die Ärzte sagen.«

»Wann ist der nächste Termin?«

»Am Donnerstag, also in fünf Tagen.«

»Und die Physiotherapeuten?«

»Kommt übermorgen.«

»Und das nächste Treffen?«

»Zea, ich bin kein wandelnder Kalender,  frag deine Mutter.«

Wir lachten beide abermals. Danach drehte sich mein Vater mitsamt Maya um und verließ das Zimmer. Ich wollte ihnen schon folgen,  als ein Klingeln mich innehalten ließ. War das nicht mein Handy? Verwundert holte ich es aus meiner Tasche raus,  wo es schon den ganzen Tag gelegen hatte und sah, dass mich tatsächlich jemand anrief. Eine unbekannte Nummer.

»Hallo?«, hob ich zögerlich ab.

»Hey Zea.« Es vergingen einige Sekunden,  bis ich die Stimme am anderen Ende der Leitung erkannte.

»Levin?!«

»Wer den sonst?«

»Woher hast du meine Nummer?«, fragte ich ihn verwirrt. Ich hörte sein Lachen. »Ich sitze hinter dir in Geschichte«, erklärte er.

»Zufällig sind noch andere Schüler ebenfalls im Geschichtskurs, und ich bin mir ziemlich sicher, dass nicht alle deswegen meine Nummer besitzen.« Ich verdrehte die Augen,  auch wenn er das nicht sehen konnte.

»Na gut,  ich hab Lea gefragt.«

Okay,  das hatte ich nicht erwartet. Wobei, eigentlich war es doch logisch. Wer sollte ihm sonst meine Nummer geben? Ziemlich unerwartet,  aber logisch.

»Du kennst Lea?«

»Unsere Eltern sind befreundet«, antwortete er.

»Und was willst du?«, fragte ich harscher als gewollt.

»Wir werden die Ferien gemeinsam verbringen.« Ich konnte das Grinsen in seiner Stimme selbst übers Telefon hören.

»Bitte,  was? Nein!«

Er ignorierte meinen Einwurf und fuhr fort: »Ich erkläre es dir besser persönlich. Ich steh vor eurem Haus.«

»Was?!«

»Ich klingel jetzt. Bis gleich.«

Ehe ich reagieren konnte,  hatte er schon aufgelegt. Dafür ertönte unten die Haustürklingel. Das war doch ein schlechter Scherz? Schnell wechselte ich meinen Pyjama gegen ein schlichtes Shirt und eine Jeans.  Danach lief ich in den Flur,  und tatsächlich,  da stand er. »Levin«, brachte ich überrascht, und immer noch ziemlich verwirrt, hervor.  »Ah, du kennst den jungen Mann?« Meine Mutter, die ihm aufgemacht hatte, blickte erst mich an und dann wieder Levin. »Tut mir leid für die Störung. Ich wollte mich nur erkundigen wie es Zea geht,  sie ging leider nicht ans Telefon«, sagte Levin nun in bester Schwiegersohn-Imitation. Fassungslos über diese Lüge,  konnte ich nichts anderes tun, als ihn weiter stumm anzustarren. »Na,  wenn das so ist, dann komm doch rein. Wir wollen gleich essen,  willst du auch was? Ach übrigens,  ich heiße Julia«, plapperte meine Mutter fröhlich drauf los. Meine Güte,  sie benahm sich wirklich,   als stünde vor ihr mein zukünftiger Ehemann. »Ähm,  wir müssen nur was gemeinsam für den Kurs machen«, sagte ich schnell,  endlich wieder in der Lage zu sprechen. »Komm Levin.« Ich zog ihn in mein Zimmer, bevor das Ganze noch eskalierte. Ich schloss die Tür, bevor ich ihn mit verschränkten Armen ansah. »Was soll das?« fragte ich ihn.  Er setzte sich auf den Boden und lehnte sich gegen mein Bett. »Schön hast du es hier.«

»Was willst du?«, wiederholte ich hartnäckig.

»Hab ich doch schon gesagt. Ich werde die Ferien mit dir verbringen.«

»Ich kenne dich noch nicht mal!«

»Wir können uns ja kennenlernen. Wie du weißt, ist Levin mein Name, ich bin frische 18 Jahre alt und ab heute dein neuer Ferienkumpel.«

Frustriert fing ich an, durch mein Zimmer zu laufen. So kam ich nicht weiter.

»Da du es offenbar nicht für nötig hältst,  mich überhaupt zu fragen,  ob ich dein Ferienkumpel sein will, kannst du mir wenigstens erklären:  Wieso ausgerechnet ich?« Levin lächelte. »Ich dachte schon, du fragst nie. Nun,  ich gehöre nicht zu den Menschen, die an Schicksal glauben. Aber wenn mir morgens ein Mädchen vor die Füße geworfen wird,  dann verstehe auch ich diesen Wink.«

Der Junge war echt unglaublich.

»Dann verstehst du hoffentlich auch den Wink, wenn ich dir sage, dass du dich nun bitte aus meinem Zimmer hinausbegeben sollst. Für immer.«

»Ach komm schon.« Levin zog eine Schnutte. »Hast du keine Lust auf ein wenig Spaß?«

»Nein.«

»Ein kleines Abenteuer?«

»Nein.«

»Willst du nicht erzählen können, was du so Tolles in den Ferien gemacht hast?«

»Nein.«

»Nun, ich sehe, du bist sehr pessimistisch veranlagt.«

»Bin ich nicht!«

Seufzend fuhr ich mir durch die Haare.

»Hast du keine Freunde, die du nerven kannst?«, fragte ich ihn, nicht ohne dabei die Augen zu verdrehen.

»Nein«, antwortet er mich imitierend. »Sind alle verreist«, fügt  er dann noch hinzu.

Ich seufzte noch einmal. »Jetzt hör mir mal zu. Ich finde es ja echt... nett von dir, dass du mit mir die Ferien verbringen willst,  aber ich habe leider überhaupt keine Zeit.«

»Sag nicht,  du fliegst weg?«

Sollte ich ihn anlügen? Ich konnte ihm schlecht sagen,  dass ich meine Ferien nur mit meiner Familie verbringen wollte.

»Ah,  zum Glück nicht.« Levin grinste mich an und stand dann auf.

»Ich habe noch nicht mal geantwortet?!«

»Man muss nicht minutenlang überlegen,  wenn man weiß, ob man verreist oder nicht.«Ich schwieg und tat so,  als hätte ich auf dem Boden gerade etwas äußerst Interessantes entdeckt. Staub oder so.»Bitte Zea.« Ich hörte, wie er näher kam, und sah, wie sich seine Socken in meinen Blickwinkel schoben. »Denk wenigstens drüber nach.« Er kam noch näher,  stand nun genau vor mir. Gezwungenermaßen blickte ich wieder auf, und wollte schon zur Antwort ansetzen,  als die Zimmertür mit Schwung aufgerissen wurde. »Ma!«, rief ich empört,  nachdem ich hastig zwei Meter nach hinten gesprungen war. »Oh,  störe ich etwa? Das Essen ist fertig.« Meine Mutter lächelte uns unschuldig an. »Ich komme sofort«, antwortete ich. »Oh,  bleibt dein Freund etwa nicht?« Ich schluckte die Erwiderung,  dass er nicht mein Freund war,  herunter und sagte trocken: »Nein,  er wollte gerade gehen.« Zum Glück spannte Levin meine Geduld nicht länger auf die Folter, sondern nickte einfach nur zustimmend. »Ich bringe ihn nur zur Haustür,  fangt schon mal an.« »Na gut, besuch uns gerne nochmal«, sagte Ma an Levin gewandt und verschwand dann. »Komm«, murmelte ich und ging voraus. Als er dann schließlich seine Schuhe angezogen hatte und draußen auf der Matte stand,  sah er mich nochmal an. »Sag mir dann morgen Bescheid, okay? Ich ruf dich an.« Ich nickte einfach nur. Hauptsache er ging jetzt. »Bis morgen, Zea.« Mit diesen Worten verschwand er in der Abenddämmerung. Erschöpft schloss ich die Tür und lehnte mich einen Moment an sie. Ich konnte schon die Flut an Fragen erahnen,  die mich im Esszimmer erwartete. Auf die meisten würde ich wahrscheinlich noch nicht mal selbst eine Antwort wissen. Levin war so… anders. Nicht das ich viele Erfahrungen mit Jungs gehabt hätte,  aber trotzdem schien er nicht wie die anderen Jungs in der Schule zu sein. Trotzdem hatte ich kein Interesse daran,  etwas mit ihm zu unternehmen. Ich konnte mich prima selbst um meine Freizeitbeschäftigungen kümmern. Kopfschüttelnd ging ich ins Esszimmer,  auch wenn selbst das Levin nicht aus meinen Gedanken vertrieb. 


- Vier -

Es war das Klingen meines Handys, das mich aus dem Schlaf riss. Halb liegend, halb aufgestützt suchte ich mit einer Hand danach. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war, als ich abhob. »Ja?«

»Einen wunderschönen guten Morgen!«, trällerte Levins Stimme mir entgegen.

Ich gab einen lauten Seufzer von mir und ließ meinen Kopf auf das Kissen sinken.

»Also, hast du es dir überlegt? Ich hab schon eine Idee, was wir heute machen könnten. Okay, eigentlich habe ich ganz viele Ideen, aber irgendwo müssen wir ja anfangen.«

Ich hörte ihm schweigend zu.

»Hallo? Bist du noch dran?«

»Ja«, antwortete ich und gähnte.

»Müde, hm?«

»Ein wenig.«

»Schlecht geschlafen?«

Kurz schoss es mir durch den Kopf, wie er reagieren würde, wenn ich ihm von meinem Traum erzählen würde.

»Nein, war schon in Ordnung«, entgegnete ich schließlich.

»Das ist gut. Also, was meinst du?«

»Levin, du hast mich gerade aufgeweckt. Selbst wenn ich zustimmen wollte, hättest du es jetzt vermasselt.«

»Zea, es ist zwölf.«

»Wie bitte?!«

Mit einem Satz sprang ich aus dem Bett, verhedderte mich dabei in meiner Bettdecke und fiel mit einem lauten Knall auf den Boden. Ich gab einen jaulenden Ton von mir und rieb mir meine schmerzende Nase. Danach blickte ich mich nach meinem Handy um, dass bei dem Sturz in die andere Ecke meines Zimmers geschleudert wurde. Langsam robbte ich dort hin und hielt das Handy an mein Ohr.«

»...Hallo? Zea, alles in Ordnung? Hallooo?«, ertönte gleich darauf hin wieder Levins Stimme.

»Ich lebe noch«, seufzte ich, »hab bloß den Boden geküsst.«

Levin lachte lauthals los.

»Gut, dann will ich nicht dabei stören. Treib es nicht zu weit, ich hol dich um vier ab.«

»Ich hab nicht...«, setzte ich an, wurde dann aber vom Tuten meines Handys unterbrochen. Der Junge hatte es wirklich mit ordentlichen Verabschiedungen.

Nun rappelte ich mich endlich auf, und warf einen Blick auf die Uhr. Tatsächlich, schon Zwölf. Ich konnte mich gar nicht mehr daran erinnern, dass ich nach dem Albtraum wieder eingeschlafen war.

Nachdem ich mich im Badezimmer gewaschen hatte, machte ich mich auf die Suche nach meiner Mutter und Maya. Schließlich fand ich sie auf dem Ehebett meiner Eltern, wo sie gemeinsam mit Bauklötzen spielten. »Morgen Ma, morgen Kleine«, gähnte ich mehr, als dass ich es sagte. »Guten Morgen mein Schatz. Genug geschlafen?« Ma lachte und klopfte neben sich auf das Bett. »Komm, setzt dich.« Ich ging zu ihr und ließ mich aufs Bett sinken.

»Levin kommt um vier«, sagte ich. Warte, was? Warum hatte ich das meiner Mutter erzählt? Natürlich sah mich diese sofort aufmerksam an. Gestern hatte sie enttäuscht bemerken müssen, dass ich tatsächlich nicht allzu viel über diesen Jungen erzählen konnte.

»Ihr wollt aber nicht weg oder?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Wieso?«

»Weil ich eigentlich um halb vier los müsste. Ich wollte noch mit einem Paar die letzten Einzelheiten besprechen, bevor ich den Auftrag endgültig abschließe.«

Manchmal vergaß ich schon fast, dass meine Mutter auch arbeitete. Lag wohl daran, dass sie es momentan hauptsächlich zu Hause tat.

»Dann sage ich ihm halt ab, ist nicht schlimm«, antwortete ich. Sonderlich drüber enttäuscht war ich nun wirklich nicht.

»Nein, nein«, entgegnete Ma sofort. »Ihr könnt euch auch gerne hier vergnügen.« Dann schwieg sie kurz, um gleich danach hinzuzufügen: »Ihr habt das Thema aber in Biologie behandelt, oder?«

Ich starrte sie an. Sie meinte doch nicht...? Oh Gott, bitte nicht.

»Ma, da läuft echt nichts... also, nichts in dieser Richtung. Überhaupt nicht, wirklich!« versuchte ich meine Mutter zu überzeugen. Verdammt, sie dachte doch nicht wirklich, ich würde mit Levin schlafen?!

»Na gut, wenn du meinst«, flötete meine Mutter und zwinkerte mir zu. Ich hingegen machte mich eilig daran, in die Küche zu flüchten.

*

Die Stunden vergingen, während ich mich die Alltagsroutine im Bann hielt. Frühstücken, duschen, aufräumen. Nichts Neues, nichts Spezielles. »Ich mach mich auf dem Weg, ruf mich an wenn was ist!«, rief mir meine Mutter zu. Ich streckte meinen Kopf in den Flur, damit sie nicht mehr das Haus zusammenbrüllte. »Ist gut. Bis später«, antwortete ich. Ma erwiderte die Verabschiedung und schon schloss sich die Tür hinter ihr. Ich ging zu Maya, die im Wohnzimmer auf ihrer Kuscheldecke lag. Ma hatte sie dort hingelegt, damit ich sie nicht erst aus dem Rollstuhl hieven musste. Sanft setze ich sie auf, so dass sie mit ihrem Rücken gegen meine Brust gelehnt war. Ich nahm mir eine Haarbürste, die ich vorher ebenfalls auf den Boden platziert hatte und fing an vorsichtig Mayas Haar zu kämen. Es sah genau so aus, wie das unserer Mutter: Ein goldenes Blond, mit Locken ohne Ende. Ganz ruhig entwirrte ich die einzelnen Strähnen, um Maya nicht weh zu tun. Dabei erzählte ich. Das machte ich oft, Maya etwas zu erzählen. Sie verlor ihr Augenlicht vor einem Dreivierteljahr komplett, und so müssen wir ihr alle helfen, diese Welt zu verstehen. Ihre anderen Sinne sind nicht ausgeprägt genug, um alleine weiter zu machen. Sie brauchte uns, brauchte mich, um zu wissen was um sie herum geschieht. Wie könnten wir ihr je diese Hilfe verweigern? Während ich weiter leise mit Maya sprach, fing ich an, kleine Klammern in ihren Haaren zu platzieren. Ich drehte sie ein wenig zu mir, um an den vorderen Strähnen weiter zu arbeiten. Lange dichte Wimpern säumten ihre Augen, eine Nebenwirkung des Gen-Defekts. Egal was je passieren würde, Maya war das schönste Mädchen auf dieser Erde.

Als die Haustür erklang, hörte ich auf zu reden und legte Maya wieder sanft auf ihre Decke. Danach stand ich auf und ging zur Tür. Schon bevor ich sie öffnete, wusste ich, wer davor stand. »Levin«, sagte ich. »Zea«, antwortet er. Unwohl stand ich vor ihm. Sollte ich ihn gleich abwimmeln oder doch erst hinein lassen?

»Können wir los?«, fragte er mich.

»Äh, geht nicht. Muss auf Maya aufpassen«, antwortete ich erleichtert. Jetzt würde er gehen, oder?

»Kein Problem, wir können auch sicher drinnen was machen. Kann ich rein?«

Perplex nickte ich. Der Junge war hartnäckig.

»Sie ist im Wohnzimmer«, murmelte ich.

Gemeinsam gingen wir dort hin. Levin legte sich sofort neben Maya. »Hallo du«, begrüßte er sie sogleich. »Sie wird nicht reagieren«, informierte ich ihn. Er zuckte mit den Schultern. »Egal. Sie versteht mich doch trotzdem, oder?«

Ich blickte von Maya zu Levin und wieder zurück. »Kann sein.«

So plötzlich, wie er sich hingelegt hatte, stand er auch wieder auf. »Lass uns kochen.«

»Kochen?«, wiederholte ich dümmlich.

»Naja, eigentlich wollte ich etwas anderes machen, aber Kochen macht bestimmt auch Spaß. Wo soll ich Maya hintragen? In den Rollstuhl da?«

Wieder nickte ich einfach. Ich weiß nicht wieso, aber es schien, als würde ich in Levins Anwesenheit kurzweilig vergessen, wie man spricht.

Ich schob Maya in die Küche, während Levin uns folgte. In der Küche stellte ich den Rollstuhl so hin, dass sie uns gut hören konnte. »Was wollen wir kochen?«, fragte mich Levin.

»Keine Ahnung«, antwortete ich, endlich meine Stimme wieder gefunden. Auch wenn sie in meinen Ohren viel zu hoch und piepsig klang. »Pizza? Ich kann nicht sonderlich gut kochen«, fuhr ich dann fort. »Hmm...«, murmelte Levin. »Na gut, Pizza geht immer«, entschied er dann.

Gemeinsam bereiteten wir alles vor, er knetete den Teig und ich schnitt das Gemüse klein. Von der Theke aus konnte ich ihn unbemerkt beobachten. Ich wusste nicht wieso, aber Levin verwirrte mich. Vielleicht weil er so direkt und offen war. Und... fröhlich? Ja, er war definitiv fröhlich. Selbst jetzt summte er vor sich hin, und lächelte. Ich verstehe immer noch nicht, warum er seine Zeit mit mir verbringen wollte. Ich hatte noch nicht mal bemerkt, dass er mit mir in einem Kurs saß. »Sag mal Levin, du sitzt wirklich hinter mir in Geschichte?«, fragte ich ihn. Mir waren zwar meine Mitschüler weitergehend unbekannt, aber müsste er mir nicht wenigstens vage vertraut vorkommen?

»Ja. Also, genau genommen, saß ich nur einmal hinter dir«, antwortete er mir, ohne sich umzudrehen.

»Und die restlichen Male?«

»War ich nicht im Kurs.«

Erstaunt blickte ich seinen Rücken an. Er sah nun wirklich nicht wie jemand aus, der die Schule schwänzte.

»Ich hab den Kurs gewechselt«, klärte er mich sogleich auf.

»Das geht?«

»In der Schule herrscht mehr Korruption, als in der Politik.«

Nun drehte er sich doch zu mir um und zwinkerte mir zu.

»Du hast Mehl auf deinem Shirt«, stammelte ich, um dann die Dämlichkeit meiner Aussage zu begreifen. Diese meeresblauen Augen brachten einen aber auch wirklich durcheinander. Sie bildeten einen wundervollen Kontrast zu seinen braunen Haaren, die nur ein wenig heller waren als meine... Energisch schüttelte ich den Kopf, um diese unnötigen Gedanken zu vertreiben. Es war egal, ob seine Haare nun braun oder rot-grün gestreift waren. Vollkommen egal.

Zum Glück widmete sich Levin wieder den Teig zu, und sah somit nicht mein wildes Kopfgefuchtel.

»Lass uns »20 Fragen« spielen. Jeder darf den anderen genau 20 Fragen stellen«, sagte Levin plötzlich und drehte sich nun endgültig zu mir rum.

»Spielt man so etwas nicht im Kindergarten?«

»Auf ewig jung«, lachte Levin und klopfte sich gegen das Herz. Ich verdrehte die Augen. »Muss das wirklich sein?«

»Natürlich. Komm schon, dass macht Spaß!«, versuchte Levin mich zu überzeugen.

»Na gut«, murmelte ich, »fang an.«

»Was machst du gerne?«

Ich zuckte mit den Schultern, das war einfach. »Ich kümmere mich um Maya. Also, ich spiele mit ihr.«

Levin sah mich skeptisch an. »Und sonst? Du hast doch sicher auch noch andere Hobbys.«

Ich seufzte. »Ich hab mal gezeichnet.«

»Du hast?«

»Ich habe aufgehört.«

»Wieso?«

»Keine Ahnung. Keine Zeit.«

»Keine Zeit für kleine Zeichnungen?«

»Keine Zeit, die ich nicht mit Maya verbringen könnte. Irgendwann werde ich genug Zeit zum Zeichnen haben, aber nicht mehr welche, die ich mit meiner kleinen Schwester verbringen kann.«

In dem Moment, wo ich realisierte, was ich gesagt hatte, entfuhr Levin ein lautes: »Was?!«

»Ich bring Maya ins Bett, sie muss schlafen. Es wäre vielleicht besser, wenn du jetzt gehst«, abrupt drehte ich mich um, und schob Maya raus, den Blick stur auf den Boden gerichtet. Ich ließ mir extra viel Zeit dabei, Maya zum Schlafen bereit zu machen. Aber irgendwann ließ es sich nicht mehr länger hinaus zögern, und ich musste das Schlafzimmer meiner Eltern verlassen. Ich biss mir auf die Lippe und blickte auf den Boden. Ich hatte keine Ahnung, was mir lieber war: Wenn er tatsächlich gegangen war, oder wenn er noch dort stand. Was sollte ich denn nun machen? Wie hätte ich ihn verraten können, dass Maya irgendwann sterben wird? Nun gut, ich hatte es nicht direkt gesagt, aber er hatte es trotzdem verstanden. Allein sein Blick...

Schließlich nahm ich meinen Mut zusammen und ging in die Küche. Sie war leer. Und aufgeräumt. Das Gemüse befand sich ordentlich in verschlossenen Plastikdosen, die Platten waren alle sauber und den Teig fand ich einen Moment später im Kühlschrank. Seufzend ließ ich mich auf einen Stuhl fallen, und blickte mich nochmal in der Küche um. Die Uhr zeigte halb sechs, Levin war über eine Stunde hier gewesen. War das viel? Oder wenig? Ich legte meine Stirn auf die Tischplatte, als mir etwas ins Auge fiel. Ein klein gefalteter Zettel. Neugierig öffnete ich ihn. »Backen wir morgen die Pizza weiter? Levin« stand dort in säuberlicher Schrift. Gegen meinen Willen breitete sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus und ich wusste wahrscheinlich zum hundertsten Mal nicht, was ich über diesen Jungen denken sollte.

*

Ich lag in meinem Bett und konnte nicht einschlafen. Mehrmals hatte ich mich umgedreht, hatte es mit und ohne Decke versucht. Zu sehr flogen meine Gedanken kreuz und quer, ohne dass ich ihnen einen Sinn entnehmen konnte. Hatte ich es nun vermasselt? Hatte er nun keine Lust auf mich? Obwohl, er hat doch geschrieben, dass wir morgen weiter backen. Und wenn er morgen doch nicht kommt? Oder wenn er etwas über Maya erfahren möchte? Was sollte ich dann bloß antworten? Ach Gott, ich schämte mich so. Ich hatte ihn doch eigentlich gar nicht rausschmeißen wollen, ich war bloß in Panik geraten, und... Seufzend presste ich meinen Kopf aufs Kissen. Das war ja nicht zum Aushalten. Wie spät es wohl war? Ich nahm mir mein Handy, machte es kurz an. Fünf Minuten vor Mitternacht. Meine Eltern schlafen schon, bestimmt. Ma war erst verwirrt gewesen, wegen der Pizza-Sachen in der Küche, aber als ich ihr erklärt hatte, dass Levin mit mir kochen wollte - wobei backen es eher treffen würde - hatte sie nur gelächelt. Ein Lächeln, in dem mal wieder zu viel Hoffnung lag. Waren alle Mütter so? Selbst wenn es Mayas Krankheit nicht gäbe, würde ich mich doch nicht gleich in den ersten Jungen verlieben, der mir über den Weg läuft. Obwohl, eigentlich taten sie das doch immer, die ganzen Klischee-Weiber in der fiktiven Welt. Erster Tag Junge, zweiter Tag Liebe und am dritten sind sie schwanger.

Nein, danke, nicht mit mir.

Papa nahm die ganze Sache gelassener. Er hatte ein paar Mal genickt und sonst nur vor sich hin gebrummelt. Der fand die Vorstellung mich in ein paar Tagen verheiratet zu sehen, wahrscheinlich nicht annähernd so toll wie Ma. Also, nicht dass das überhaupt passieren würde. »Ach halt die Klappe, Gehirn«, murmelte ich ins Kissen und drehte mich um, weil es dann doch ein wenig stickig wurde.

Schnell fasste ich einen Entschluss. Ich nahm mir mein Handy, öffnete meine Anrufliste. Levins Nummer stand ganz oben, also speicherte ich sie ab und schickte ihm eine Nachricht.

Ich schloss die Nachricht und lächelte.

»Bis morgen, ich bin mit der nächsten Frage dran.«

 







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Precioso schrieb Um 05-07 15:53:
Precioso schrieb:
Anna0902 schrieb:
Precioso schrieb:
Diesmal ein riesen Update. <img src='/layout/nl/images/smileys/lol.gif' alt='<img src='/layout/nl/images/smileys/lol.png' alt=':d'>'> Möchte eigentlich jemand hier die Geschichte lesen, bzw. soll ich weiterhin hier die neuen Kapitel hochladen? <img src='/layout/nl/images/smileys/smile.gif' alt='<img src='/layout/nl/images/smileys/smile.png' alt=':)'>'>

Jaaa ich les das auf jeden Fall : D

Freut mich! :)
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Anonym schrieb Um 05-07 15:34:
Anna0902 schrieb:
Precioso schrieb:
Diesmal ein riesen Update. <img src='/layout/nl/images/smileys/lol.png' alt=':d'> Möchte eigentlich jemand hier die Geschichte lesen, bzw. soll ich weiterhin hier die neuen Kapitel hochladen? <img src='/layout/nl/images/smileys/smile.png' alt=':)'>

Jaaa ich les das auf jeden Fall : D
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Precioso schrieb Um 04-07 19:58:
Precioso schrieb:
Diesmal ein riesen Update. :d Möchte eigentlich jemand hier die Geschichte lesen, bzw. soll ich weiterhin hier die neuen Kapitel hochladen? :)
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Precioso schrieb Um 20-06 14:59:
Precioso schrieb:
Danke an euch beide. (l)

Ja, ich hab gestern auch nochmal die Fehler überarbeitet, hier ist noch die alte Version drin. :) Aber ihr habt Recht, ich sollte vielleicht doch von anfang an ein wenig mehr drauf achten.
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AnnMary schrieb Um 20-06 14:43:
AnnMary schrieb:
In der Sprache echt top, mir gefällt es total, wie du deine Sätze formulierst! Traurige Geschichten sind allerdings nicht so meines. - Dennoch finde ich die Idee der Geschichte, die du um die Krankenstory gewebt hast, echt toll. Würde gerne mehrere Kapitel lesen. :d

Allerdings muss ich meiner Vorgängerin recht geben: Du bist einige Male nicht in der Zeit und baust ab und an Rechtschreibfehler ein.
Ich lese meine Bücher (Naja, Bücher.. Ich höre nach einigen Kapiteln immer auf, weil ich eine neue Idee bzw keine Zeit habe xD) immer total oft von vorne (wegen Grammatik und Satzzeichenfehlern) und von hinten (so erkennt man die Rechtschreibfehler besser, da man sich nicht auf den Inhalt konzentrieren muss, besser) durch.
I like! ♥
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Anonym schrieb Um 20-06 14:11:
Anna0902 schrieb:
Ich mag deine Art und Weise zu erzählen, finde das sehr anschaulich und schön. Obwohl mich diese Kranken-Stories überhaupt nicht ansprechen, muss ich ehrlich sagen : D Allerdings solltest du mehr darauf achten, in der Zeit zu bleiben und du baust wirklich einige Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler ein, die mich persönlich sehr stören.
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Precioso schrieb Um 20-06 13:27:
Precioso schrieb:
(l)
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Precioso schrieb Um 18-06 16:41:
Precioso schrieb:
Freu mich über Feedback :)