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Schnell rannte ich nach Draußen und in Richtung Tod. Oder auch in Richtung Schule. Meiner Meinung nach war das beides ungefähr das Gleiche, auch wenn in diesem Augenblick auch Toms Gegenwart ebenso schrecklich war wie der Tod oder die Schule. Am Gebäude angekommen wich ich den Menschen aus, mit denen ich nichts zu tun hatte oder mit denen ich nichts zu tun haben wollte. So gut es ging wich ich allen aus. Zumindest solange bis ich ins Klassenzimmer ging. Da war ja auch wohl ein zusammen treffen mit anderen Menschen unmöglich zu verhindern. Von daher blieb mir nichts anderes übrig als mich auf meinen Platz zu setzen. Während des Unterrichts hatte ich meistens meine Ruhe. Deshalb konnte ich auch ruhig darüber nachdenken, wieso ich so unruhig war. Also, wirklich normal verhalten habe ich mich ja nicht gerade in Toms Gegenwart und das hat er scheinbar auch gemerkt. Ist ja klar. Er kennt mich ja jetzt auch schon 3 Jahre. Aufgeregt brauche ich aber trotzdem nicht in seiner Nähe zu sein. ..Vielleicht habe ich ja meine Tage. Nein, die hatte ich vor einer Woche. Oder ich bin irgendwo mit dem Kopf gegen geknallt. Nein, das hätte ich bemerkt, glaub ich... Ich frag mich ob er ein ähnliches Problem in meiner Nähe hat.. ,,Liv?!'', rief mein Lehrer mir zu, während er mit seiner Hand vor mir rum wedelte. ,,Ähm, ja. Sorry.'', erwiderte ich nur klein laut. Mein Blick viel auf die anderen bereits lachenden Schüler und dann wieder auf meinen anscheinend überhaupt nicht amüsierten Mathematik Lehrer. ,,Wenn du meinst ,dass du es dir leisten kannst lieber zu Träumen als meinem Unterricht zu folgen, dann geh raus.'', kam die klare Ansage von ihm, die meine Mitschüler nur noch mehr zum lachen brachte. Tja, dann sollte ich wohl jede Stunde fehlen, weil mich ihr Unterricht sowieso langweilt. Pythagoras ist nur Formeln lernen. Und mich dafür zu entschuldigen, dass ich nicht aufpasse, weil wir das was wir jetzt machen schon die ganzen letzten drei Wochen machen, wäre ebenfalls sinnlos. Ihre Wut sollten Sie lieber an die Anderen richten. Und zwar an die, die das Thema auch nach den drei Wochen immer noch nicht gerafft haben. Wegen denen sind wir nämlich Heute immer noch hierbei. Alles was ich dachte hätte ich sagen können, aber ich tat es nicht. ,,Ich passe jetzt auf.'', antwortete ich leise. ,,Dann fahren wirjetzt mit dem Unterricht fort.'', murmelte mein Lehrer als er zur Tafel ging.
~ Als ich dann auch Deutsch hinter mir hatte, wo ich die ganze Zeit nach vorne schaute und still war, klingelte es zur ersten Pause. Ich lief zu aller erst in die Mädchentoilette. Vor dem Spiegel wollte ich mir gerade Kajal auftragen, als Michelle rein kam. Natürlich rempelte sie mich ''aus Versehen'' an und ich rutschte ab. ,,Oh, das tut mir jetzt aber Leid, Liv. So siehst du sowieso besser aus als vorher und passt auch zu deiner restlichen Aufmachung.'', sagte sie ironisch und trug neuen Lipgloss auf. Mir war das zu dumm und ich ging einfach raus und schnell vorbei an den Menschen die mich auslachten, wegen dem fetten schwarzem Strich, der von meinem Auge bis über meine Nase ging. Ich lief zu Toms und meinem Treffpunkt, die unbenutzte Abstellkammer im zweitem Stock. Letztes Jahr habe ich aus dem Lehrerzimmer den Schlüssel für den Raum mitgehen lassen. Bis jetzt hatte es noch keiner gemerkt. Am Raum angekommen, schaute ich mich um ob Niemand in der Nähe war. Nach diesem Sicherheitsvorkommnis ging ich rein. Ich schloss die Tür hinter mir und suchte den Lichtschalter. Mit der Hand tastete ich die Wand ab. Auf einmal packten mich zwei Hände und zogen mich an sich heran. ,,Wa-!'', kam nur aus mir heraus, danach wurde mir der Mund zugehalten. ,,Psst, Liv. Warum heute so schreckhaft? Ich bin's doch nur.'', sagte Tom und ließ mich los. ,,Danke, das ich wegen dir jetzt weiß wie es sich anfühlt vor Schreck zu sterben, Tom.'', gab ich zurück und machte das Licht an als ich den Schalter fand. ,,Kein Problem.'', sagte er grinsend. ,,Ach, ja. Toll siehst du aus.'', fügte er noch hinzu. Ich fasste mir an die Nase und mir fiel der schwarze Kajal-Strich wieder ein. Ich wurde leicht rot, aber blieb ruhig. ,,Ja, ich weiß. Morgen wirst du noch andere mit so einem sexy schwarzem Strich rumlaufen sehen.'', sagte ich, damit er nicht merkte wie peinlich es mir war vor ihm so auszusehen. ,,Bist du dir wirklich sicher, dass der Strich das Einzige hier ist was so sexy ist?'', sagte Tom auf eine herausfordernde Art. ,,Natürlich. Der schlägt dich um Längen.'', antwortete ich ihm und setzte mich auf den Boden. Er grinste. ,,Und wenn ich damit auf dich anspielen wollte?'', flüsterte Tom als er sich vor mich hockte und sich zu mir herüber beugte. Plötzlich kam wieder dieses Gefühl was ich heute Morgen schon hatte. Ich erstarrte und schaute ihm in die Augen. Mir war noch nie aufgefallen wie wunderschön blau seine Augen waren und wie seine schwarzen Haare, seine Augen noch mehr zum leuchten brachten. Oder wie sein Mund sich bewegte, wenn er atmete.
Er lehnte sich plötzlich zurück und von Sekunde auf Sekunde wurde das Gefühl noch stärker. Sein jetziger Abstand war für mich als würde mir das Herz stehen bleiben. Einfach ein riesiger Schmerz. Am liebsten wäre ich ihm in diesem Moment einfach um den Hals gefallen. Ich wollte seine Nähe spüren, seine Wärme fühlen. Aber ich erstarrte einfach. Lange Zeit sagte keiner von uns beiden etwas. Doch dann begann Tom zu summen. Ein Lied, das mich an früher erinnerte. An den letzten Sommer, wo Tom, mein Großvater, meine Großmutter und ich zusammen weggefahren waren. Das Lied hatten Tom und ich damals zusammen geschrieben. Ich fing an mit zu summen. Tom lächelte mich an.
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