Das Durchschnittsalter auf Virtual Popstar steigt und steigt. Damit ist es unweigerlich das immer mehr von uns ihren Schulabschluss erreichen und sich umsehen müssen, was sie denn nach der Schule machen und werden wollen. Hierbei sind vielfältige Möglichkeiten vorhanden. Ein Jahr im Ausland, ein FSJ, eine Ausbildung oder ein Studium. In der Reihe: "Meine Zukunft als..." werdet ihr nun ein wenig mehr über die Zukunft und die Pläne einiger anderer VP User kennen lernen. Im zwanzigsten Teil der Ausgabe geht es darum wie man sein Leben neu organisieren kann, wenn man von Borderline betroffen ist. Als Partnerin für dieses Interview hat sich Jacresa bereit erklärt!
Willkommen und vielen Dank für deine Bereitschaft dieses Interview mit mir zu führen! Wärst du so lieb und würdest dich erst einmal vorstellen?
Hallo, ich bin Jacresa, ehemals bekannt aus dem FT und BT. Ich bin 21, zweifache Katzenmama und verbringe meine Freizeit mit Lesen, Recherchieren und Zeit vertrödeln. Ach, und ich studiere zwei Fächer gleichzeitig, weil ich ja sonst nichts zu tun habe
Magst du uns einmal erklären wobei es sich bei Borderline handelt?
Bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPD), inzwischen bekannt als emotional instabile Persönlichkeitsstörung, handelt es sich um ein weitreichendes Muster an problematischen Verhaltensweisen. Für die Diagnose muss man mindestens fünf von folgenden neun Merkmalen erfüllen: Chronische Gefühle von innerer Leere, intensive Beziehungen mit wechselnder Idealisierung und Abwertung, extreme Stimmungsschwankungen als Reaktion auf alltägliche Ereignisse, verzweifelte Versuche, das Verlassenwerden (real und vorgestellt) zu verhindern, unsichere Identität, impulsives Verhalten in potentiell selbstschädigenden Bereichen, unangemessener Ärger, suizidales oder selbstverletzendes Verhalten, stressinduzierte paranoide/dissoziative Symptome.
Wie BPD entsteht, ist nicht geklärt, aber es handelt sich vermutlich um eine Mischung aus biologischen und biografischen Faktoren. Viele Betroffene, aber nicht alle, haben traumatische Erfahrungen gemacht oder wurden in ihrer Kindheit verlassen bzw. häufig sich selbst überlassen. Man geht davon aus, dass diese Störung nicht heilbar sei und man sich lediglich damit arrangieren, aber niemals den Kampf in seinem Kopf beenden könne. Am stärksten wird hierfür die dialektisch behaviorale Therapie (DBT) von Marsha Linehan propagiert, welche aus fünf Modulen besteht und unter anderem Achtsamkeit auf ihre Fahne schreibt.
Und wie zeigt sich dies bei dir persönlich?
Bevor meine Therapeutin ihre Diagnose stellte, hatte ich schon selber den Verdacht, ich könne betroffen sein. Seit ich 16 war, habe ich häufig grundlos in meinem Zimmer geheult, meine Freunde begannen, mich abzulehnen, ich hatte viel Mobbing erlebt, etc. Zum Zeitpunkt der Therapie war ich 19 und befand mich in einer Long-Distance-Beziehung, welche sehr schlecht lief. Ich schwankte zwischen Hass und Zuneigung für meinen Partner und "beendete" den Kontakt fast täglich zu ihm. Mich hat mein Verhalten selber stark belastet, weshalb ich beim Googeln auf BPD gestoßen bin. Nach tatsächlicher Beendigung dieser "Beziehung" (es besteht kein Kontakt mehr), begann eine andere Phase in meiner Therapie und wir gingen die Diagnostik erneut durch. Schließlich empfing mich die Therapeutin, sagte, ich hätte BPD und wir müssten jetzt Infos für das Gutachten zur Beantragung weiterer Stunden sammeln, weshalb sie es jetzt nicht erklären und erläutern würde, wie sie darauf käme. Okay, das Leid hatte einen Namen, immerhin litt ich seit Monaten unter täglich mehrfach stattfindenden Stimmungsschwankungen, Hoffnungslosigkeit, "alles ist scheiße"-Gefühlen und wusste nichts mehr mit mir anzufangen. Doch nach der Stunde verschwanden meine Symptome und blieben auch die zwei Wochen der folgenden Pause aus. Deshalb bat ich um Erläuterung, wie sie zur Diagnose gekommen sei, was mir als BPD-Symptom an den Kopf geworfen wurde. Mir wurden unschöne Dinge unterstellt und ich verlor vorerst den Glauben ins Therapiesystem, das soll aber niemand anders davon abschrecken, sich Hilfe zu suchen.
Heute sehe ich mich nicht mehr unter dem Label eines Borderliners. Es hat mir für eine Weile Halt und eine Identität gegeben, jetzt nicht mehr. Wenn ich die Liste der Symptome durchgehe, dann treffen davon acht auf mich zu. Aber das auch nicht immer, sondern je nach Tagesform und vor allem nicht mehr unter so einem Leidensdruck wie noch vor einem Jahr. Ich habe für mich einen Weg gefunden, aus diesem gefühlt unendlichen Tief rauszukommen. Auch wenn ich andere Menschen frage, dann bestätigen diese wohl, dass ich sehr wohl noch Probleme habe, aber dass es mir schon viel besser geht und ich Fortschritte mache.
Danke für deine sehr ausführliche Erklärung, ich denke so können sich unsere Leser ein gutes Bild davon machen. Ich denke jede und jeder von uns wird das ein oder andere Merkmal von beinahe jeder psychischen Krankheit erfüllen, was ja noch lange nicht heißt, das wir auch alle Krank sind. Magst du uns noch etwas darüber erzählen, wie sich dies auf dein berufliches Leben auswirkt?
Mein berufliches Leben ist davon tatsächlich nicht besonders betroffen, während der Arbeit habe ich meist weniger oder gar keine Symptome oder Beschwerden. Höchstens mal, wenn vorher schon Spannung herrschte - für solche Fälle habe ich einen Block in meiner Schublade und schreibe dann mein Innenleben runter oder zeichne etwas Kleines, wenn mir das alternativ hilft. Letztens gab es einen Zwischenfall, bei dem ich ein Blatt zerfetzt habe, sowas passiert aber nur selten. Mir ist es aber auch wichtig, nicht allzu viel Kontakt zu Kollegen zu haben, das erinnert mich schnell an das Schulsetting und eine potentielle Mobbingdynamik. Ich war bisher häufiger bei Arztbesuchen oder musste gerade anfangs auch in der Toilette verschwinden, um zu heulen, aber inzwischen ist gerade Letzteres besser geworden und ich bekomme auch zu hören, dass ich trotzdem viel in kurzer Zeit und auch gut erledigt bekomme. Natürlich geht das nicht in jedem Job und ich habe das große Glück, mit meinem Arbeitgeber bekannt zu sein, wodurch dieser etwas toleranter ist.
Das ist schön zu hören! Darf ich auch fragen wie sich das auf dein privat Leben auswirkt? Zum Beispiel in der Beziehung zu Freunden oder Familie?
Das ist ganz unterschiedlich. Ich habe eine starke Tendenz zum Hypochonder und gerade meine Mutter habe ich dadurch über viele Jahre immer stärker belastet, weshalb ihre Geduld mit meinen gesundheitlichen Problemen am Ende ist. Dafür unterstützen mich da mein Freund und ein Verwandter sehr gut. Ich bin mir allerdings nicht sicher, was ich von meinen Elternteilen halte und ob es an ihnen, unserer Dynamik oder an eventuellem Splitting meinerseits (Umschwenken von Verherrlichung zu Hass und andersrum) liegt. Freunde habe ich keine, aber mit den meisten meines Freundes komme ich sehr gut klar. Meine eigenen Freunde habe ich im Laufe der Schulzeit verloren. Es ist schwer, neue zu finden, was ich über eine App versuche. Viele schreiben aber nicht zurück oder hören auf zu antworten. Mit einer Person habe ich auch einen ordentlichen Streit am Laufen, wir werfen uns gegenseitig Manipulation, Hassrede und noch andere Dinge vor. Mir fällt es schwer, klar zu meinem Blickwinkel zu stehen, da ich mich immer wieder frage, ob nicht doch die andere Person recht hat und ich ein schlechter Mensch bin, der sie einfach so angreift, weil ich ein vergangenes "Trauma" hätte.
Das klingt ganz und gar nicht schön... Ich hoffe sehr das sich die Situation bald für euch ändert und ihr dann wieder ein besseres Verhältnis zu einander habt. Strebst du denn eine Therapie an, oder bist gar schon in einer?
Ich war bis Sommer 2020 bei einer Kinder- und Jugendtherapeutin in Behandlung. Wir haben hauptsächlich darüber geredet, was alles in meinem Leben falsch lief und uns dann gestritten, weil wir oft von verschiedenen Dingen gesprochen und uns nicht verstanden haben. Ihr Ansatz war wohl der Verhaltenstherapeutische, aber es hat sich nie angefühlt, als hätten wir je damit begonnen. Seit ca. einem Monat bin ich wieder in einer Therapie nach dem Ansatz des Inneren Teams. Ich war noch nicht häufig da, aber es ist das erste Mal, dass ich mich sicher und verstanden fühle, dass ich das Gefühl habe, sein zu dürfen, wie ich bin. Es ist sehr heilsam, in sich reinschauen zu dürfen, ohne zu hören, was alles an einem schlecht und falsch sei.
Also kommt eine neue Therapie momentan gar nicht für dich in Frage. Welche Forschungsangebote gibt es denn? Wäre es dir möglich dich dort als Freiwillige zu melden?
Ich finde es vor allem interessant, an den Hintergründen menschlichen Verhaltens zu forschen. Warum ist ein Mensch zu dem geworden, was er heute ist und was motiviert seine einzelnen Verhaltensweisen? Mein Eindruck ist, dass gerade in der Verhaltenstherapie (VT), DBT und der Borderline-Behandlung dieser Aspekt zu kurz kommt. Ja, es ist wichtig, in der Gegenwart am aktuellen Verhalten zu arbeiten. Aber ich finde, dass es auch wichtig ist, zu schauen, woher mein Verhalten kommt, damit ich diesen Teil an mir sozusagen auch wertschätzen" und besser akzeptieren, damit umgehen kann. Es ist ein gewaltiger Unterschied, zu sagen "ich heule immer ohne Grund und das ist schlecht" oder "ich werde leicht emotional, wenn mich x triggert und das ist eine Schutzfunktion meines Körpers, die ich in meinem Tempo lockern möchte". Als Freiwillige melden könnte ich mich mit Sicherheit bei sozialen Diensten wie der Diakonie, allerdings muss ich zugeben, dass an dieser Stelle meine Abneigung gegen Menschen noch zu sehr präsent ist.
Empfindest du deine Abneigung gegenüber Menschen als Belastend?
Puh, es ist situationsabhängig. Menschenansammlungen sorgen dafür, dass ich mich in mein Schneckenhaus zurückziehe und still werde, oft kann ein unglücklicher Blick in meinem Gesicht erkannt werden. Treffen mit Freunden entziehen mir über die Zeit Energie, weil ich mich nicht mal eben zurückziehen kann. Bei anstehenden Treffen mit Fremden fliehe ich lieber vor Angst, als hinzugehen. Und vor unangenehmen Gesprächen habe ich große Angst und zittere am ganzen Körper, kann nicht mehr denken. Oft habe ich Gedanken im Kopf, dass mich Menschen hassen. Letztendlich habe ich mich damit arrangiert und ein Fernstudium gewählt, im Job arbeite ich höchstens mit einer Person, dann passt das. Kleine Dinge, die mir helfen, sind es, mich auf die Toilette oder in ein anderes Zimmer zu retten und dort für einen kurzen Augenblick für mich zu sein. Auch Zeit am Handy kann mich aus der menschlichen Gesellschaft rausholen und meine Nerven beruhigen. Vor Kurzem bin ich auch einfach mal etwas herumgelaufen, um gegen die Angst vorzugehen und es hat definitiv geholfen. Wie ich tiefgründiger dagegen angehen kann, weiß ich aktuell nicht. Mir ist zwar klar, dass die Abneigung aus ungeheilten Wunden der Vergangenheit stammt, aber es ist sehr schwer, diese zu heilen.
Ja das glaube ich dir aufs Wort. Ich drücke dir die Daumen, dass du einen Weg findest damit auf eine Art und Weise umzugehen, die für dich richtig ist! Hast du noch ein abschließendes Wort an die Leser?
Ich bedanke mich für die Möglichkeit dieses Interviews und hoffe, dass ich über Borderline aus einem anderen Blickwinkel erzählen konnte, der vielleicht anderen Betroffenen hilft oder Angehörigen Wissen über unser mögliches Innenleben, das oft nicht kommuniziert wird, bieten konnte.
Ich hoffe ihr konnten vielleicht den ein oder anderen Tipp für euch und euer Leben aus diesem Interview ziehen. Lasst uns beiden gerne einen Kommentar da, wie euch das Interview gefallen hat, welche weiteren Fragen euch nun noch auf der Seele brennen und welche weiteren Themen euch interessieren würden!