LEBEN Meine Schublade (18+) |
Es ist mal wieder an der Zeit für einen etwas persönlicheren Blogeintrag. Ich hader' schon etwas länger damit, ihn zu schreiben, da ich in einer gewissen Weise auch in einem Zwiespalt mit mir selbst stehe. Im Endeffekt aber habe ich mich dafür entschieden; zum einen um mich mit anderen austauschen zu können, zum anderen um es mir mal endlich von der Seele zu schreiben. Beginnen tut es damit, dass alles irgendwie ein Label haben muss. Eine feste Schublade, in die man jemanden einordnen kann. Ok, vielleicht hat es nicht wirklich beim Label selbst begonnen, sondern eher beim Drang der Menschen von außerhalb ein Label aufdrücken zu können. Ich weiß selber nicht so genau in welcher Reihenfolge das Ganze passierte. Aber ich werde versuchen, es so gut wie möglich zu rekonstruieren. Folgt mir also in meine Pubertät, beziehungsweise an den Anfang, den Übergang vom Kind zur Erwachsenen. Angefangen hat alles in der 7. Klasse. Eher unfreiwillig. Während ich mit meinen unerfahrenen und blutjungen elf Jahren noch versucht habe damit klar zu kommen, dass jetzt dieses große Monster Pubertät und Erwachsen werden auch mich zukommt, waren alle anderen damit beschäftigt dazu zu gehören. Und das ist nun mal - im Einklang mit der Pubertät - die Entdeckung der eigenen Sexualität und natürlich der obligatorische erste Freund. Kinderheitsfreunde mal ausgeschlossen, das ist ja eher Spiel und Kopieren der Erwachsenen. Während ich also nachts stundenlang wach lag und versucht habe herauszufinden, ob das normal ist wie ich mich fühle, waren meine Klassenkameraden sehr darauf fokussiert immer nur über das eine zu reden: Jungs! Gut, die Jungs haben über Mädels geredet, aber ihr wisst worauf ich hinauswill. Im Prinzip war es mir egal, so richtig zugehörig habe ich mich sowieso nicht gefühlt und da ich ein Jahr jünger war als die meisten war ich auch der Ansicht, dass der Mist noch ein Jahr auf mich warten konnte. Es Mist zu nennen war aber schon Fehler Nummer 1. Hab ich leider erst zu spät gelernt. Nach meiner Klasse kam dann langsam auch meine Familie mit ins Spiel. Jetzt nicht Mama, Papa und die Brüder, aber meine Kusine und meine Tante. Während meine Kusine sich scheinbar in jeden Kerl verliebte, von dem sie dachte, dass er sie angeschaut hat, war ich damit beschäftigt mir nicht anmerken zu lassen, wie verloren ich mich in der Welt gefühlt hab. Und wenn meine Tante und mein Onkel - primär meine Tante - dann bei jedem Treffen darüber geredet haben wie toll das doch sei, dass Anna verliebt ist und sie jetzt nen Freund in Aussicht stehen hat, dann habe ich das versucht auszublenden. Leider dauerte es nicht lange, bis die erste Welle von "wir wissen was gut für dich ist" ankam. Es begann harmlos. Bei der Clerasil-Werbung die unscheinbare Frage, welchen von beiden Typen ich denn süßer finde. An jedem Geburtstag die Frage, ob ich denn einen Jungen in Aussicht stehen habe. Und wir haben alle recht nahe aneinander Geburtstag, die Frage kam also jeden Monat auf. Während meine Tante versucht hat mich auf den gleichen Weg zu leiten wie meine Kusine - nämlich jedem Kerl hinterher zu schmachten, einfach weil es ein Kerl ist - und mir einzureden wie toll es doch sei mit zwölf einen Freund zu haben, war meine Mutter glücklicherweise anderer Meinung. Meine Mutter ist eine recht konsequente Frau und hat mir von Anfang an eingetrichtert, dass ich nichts aus einer gefühlten Verpflichtung anderen gegenüber heraus tun muss. Ich habe mir also keinen Freund gesucht, nur um dem Ideal zu entsprechen und habe auch versucht die Gespräche so gut es geht zu vermeiden. Dann langsam, ich war mittlerweile vierzehn und scheinbar alt genug für den ersten Freund, hat auch meine Oma damit angefangen. Ich weiß nicht warum es mir nie in den Sinn kam, einen Freund zu haben. Es gab schon Jungs, die ich niedlich fand. Aber der Gedanke mit ihnen etwas anzufangen hatte weder etwas Schönes, noch Beruhigendes. Dann dachte ich nur an den Stress, den alle immer mit ihren Freunden hatten. Die Aufmerksamkeit, die ein Partner verlangt. Und auch ein bisschen an die Sache mit dem Sex. Dafür war ich eindeutig noch nicht bereit und ich wollte nicht mit einem pubertären Jungen darüber reden, warum ich nicht mit ihm schlafen wollte. Ich habe auch nichts vermisst. Ich hab irgendwann allen klar machen können, dass ich mich erst auf die Schule fokussieren will. Ich wollte gut in der Schule abschneiden, da konnte ich keine Ablenkung gebrauchen. Und bis auf die gelegentliche Fragerei, ob mir denn nicht ein Junge ins Auge gesprungen sei, ließ man mich in Ruhe. Vielleicht wäre hier der Platz für einen kurzen Ausflug in die Komplexität der Sexualität von Nöten. Ich weiß, dass ich hier immer von Kerlen rede - quasi der hetero Traum. Das kommt daher, dass hetero sein einfach Usus war, als ich in der Pubertät war. Klar, der Gedanke ich könnte auf Frauen stehen kam so einigen. Offen gestanden wurde ich auch öfter darauf angesprochen, als auf meine Anziehung auf Männer. Scheinbar schien der allgemeine Konsens, dass ich auf Frauen stehen müsste, wenn mich Männer nicht interessierten. Hinzu kam, dass ich bereits recht früh kein Problem damit hatte zuzugeben, wenn ich eine Frau attraktiv fand. Ich war von Anfang an der Ansicht, dass Schönheit und Anziehung nichts mit dem Geschlecht zu tun haben, sondern mit der ganz eigenen Art, die jeder Mensch hat. Irgendwann wurde ich sogar von Leuten, mit denen ich eigentlich nie über Partnerschaft und Liebe geredet habe, darauf angesprochen, dass ich doch wisse wie ok es sei, wenn ich auf Frauen stehen würde. Da begann ich mich zu wundern. Immerhin galt zu dem Zeitpunkt immer noch, dass lesbische Frauen quasi Mannsweiber sind und ich hatte immer das Gefühl eigentlich recht weiblich zu wirken. Immerhin fühlte ich mich seit ich 13 bin als Frau - dass ich da meinen Frieden mit meiner Periode geschlossen habe hat bestimmt zu dieser Einsicht mit beigetragen. Ich bin irgendwann zu dem Entschluss gekommen, dass auch wenn ich mir mit keinem Menschen vorstellen konnte zusammen zu sein oder auch nur die Person zu küssen, ich vielleicht einfach mit dem Stempel bi oder pan alles abdecken konnte. Immerhin ist für die meisten Menschen Sexualität gleichbedeutend mit Anziehung und die kann ich ungeachtet der Körperteile zwischen den Beinen einer Person spüren. Dass mir Sex nicht so ganz zusagte ... sagen wir so. Irgendwann dachte ich mir, dass es ja nichts Verpöntes ist, es mal selbst zu versuchen und hab mich am Masturbieren versucht. Versucht ist gut, so richtig befriedigend war da nämlich nichts von. Wenn das der wundervolle Höhepunkt ist, von dem alle reden ... entweder ist die rosarote Brille echt der Hammer, ich ne Niete wenn es um meinen eigenen Körper geht oder aber ich finde tatsächlich mehr Gefallen an Karusellfahrten, langen Spaziergängen oder so richtig leckerem Essen. Irgendwann legte sich aber die Diskussion und bis auf die sporadischen Nachfragen kam nichts mehr nach. Einzig und allein meine Kusine scheint es immer noch brennend zu interessieren, ob ich nen Kerl in meinem Leben habe. Aber ihr nehme ich es nicht böse, immerhin weiß ich, dass das eines ihrer wenigen Interessen ist und sie nicht verstehen kann, wie andere Menschen dies nicht teilen können. Für sie ist einen Partner zu haben wichtig, denn es zeigt, dass man geliebt wird. Vielleicht traurig zu sagen, aber sie findet Familie zählt nicht, weil Familie einen irgendwie lieben muss und so richtige Freunde hat sie keine. Die Nummer schien sich also zu entspannen und ich hatte endlich Zeit mich auf das zu konzentrieren, was mir wichtig war: mich selbst finden. Einfach wurde es vor allem mit dem Beginn des Studiums und dem Umzug nach Hamburg. Ich hatte kurz vor Studienanfang einen Kerl abblitzen lassen, der scheinbar seit der 9. Klasse auf mich stand. Es fand es grausam von mir - ich hab meinen persönlichen Erfolg als Argument vorgeschoben. Vielleicht bin ich aber auch einer misslichen Lage entkommen, immerhin erzählte er die Hälfte unseres Treffens - er wollte sich treffen um sich über die vergangenen Jahre auszutauschen, wir hatten uns seit 4 Jahren nicht mehr gesehen - damit zugebracht mir von seinen Trennungsängsten zu erzählen. Jedenfalls bin ich in Hamburg gelandet und auch wenn mir die Kerle bei Leibe nicht hinterher rennen, ich kam in die Situation, dass einer einen One-Night-Stand wollte (ich hab ihn auf'm Spieleabend verbal ein bissl fertig gemacht - ich mein, auf die verwirrte Frage warum ich als Luxemburgerin Deutsch sprechen würde kam mir nur ein, damit ihr mich auch versteht in den Sinn und dann habe ich ihn noch bei seinem eigenen Spiel - dem Aufzählen von Gerätschaften aus einem Feuerwehrwagen - haushoch geschlagen, da schien er drauf zu stehen) und einer, der sich eben erst von einer langjährigen Beziehung "erholt" hatte, nachdem sie ihn betrogen hatte. Ich dachte anfangs, nur befreundet sein würde es bringen, aber scheinbar können Kerle das nicht (O-Ton meine Brüder) und zudem war er schlimmer als ein persönlicher Cheerleader. Ich weiß nicht wie es euch geht, aber wer mir jeden Tag sagt, wie klug und schön ich doch bin, der spielt mit dem Feuer. Sowas halte ich keien zwei Tage aus, dann bin ich weg. Irgendwann dachte ich mir dann - und mit irgendwann meine ich nach einem Gespräch mit meinem Hausarzt, als ich eine Blasenentzündung durch übertriebenen Sex ausschließen konnte, da ich noch Jungfrau bin, und er wissen wollte ob das aus religiöser Überzeugung ist, immerhin würde ich nicht aussehen wie jemand, der von allen abgewiesen werden würde - dass ich der Sache vielleicht auf den Grund gehen sollte. Ich kann nicht immer jedes Gespräch mit einer langen Rede versuchen abzuschließen. Auch wenn es eigentlich niemanden etwas angeht, so brauchen wir uns nichts vorzumachen. Sobald es um die Intimität und Privatsphäre von Menschen geht, denkt jeder plötzlich, er habe ultimative Bestimmgewalt und könnte sowieso als einziger bei nicht vorhandenen Problemen helfen. Und dann scheinen alle immer eine Rechtfertigung für alles haben zu wollen und alles muss mit den gesellschaftlich akzeptierten Labels erklärt werden, sonst nimmt einen keiner für voll und nervt nur noch weiter. Ich bin also von einem Forum ins andere gestolpert, habe einen Selbsttest nach dem anderen gemacht und kam zu dem Entschluss: Die meisten Häkchen stehen bei mir eindeutig bei asexuell und aromantisch. Und dann dachte ich mir, warum auch nicht? Das ist ein Konzept, dass zwar nicht jeder versteht, die meisten aber zumindest akzeptieren können. Ich bin mir zwar nach wie vor unsicher, inwiefern das überhaupt eine annehmbare Selbstdiagnose ist, immerhin bin ich wie gesagt Jungfrau und war noch nie in einer Beziehung - ein Umstand, der bei vielen gleich mal Mitleid auslöst, was ich hasse wie die Pest. Aber dann dachte ich mir: Es geht doch irgendwie nur darum, dass die anderen die Klappe halten und dich in Ruhe lassen und dich sein lassen, wie du willst. Also habe ich das meiner Mutter gegenüber angesprochen. Es war gleich mal ein Throwback zu dem Gespräch, das ich nach dem Wocheneinkauf im Auto mit ihr hatte. Mit neunzehn habe ich mich heran getastet und sie gefragt, wie sie das eigentlich sehen würde: Gibt es so etwas wie Asexualität, nur mit Gefühlen? Hätt ich auch googeln können, aber ich wollte es loswerden und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es mich belastet, dass alle denken, dass ich mich verlieben werde, irgendwann, und ich aber das Gefühl habe, dazu emotional nicht in der Lage zu sein uznd das auch nicht zu wollen. I ramble. Es folgte also ein längeres Gespräch mit der Hauptnote "Das erklärt so einiges und ich finde es gut, dass du das für dich so entscheiden konntest" und der Aussage "Sprich es bei deinem Vater vielleicht nicht so direkt an, der ist schon verzweifelt, weil du immer sagst, dass du keine Kinder haben willst. Ohne Partner in Aussicht wird es schwer für ihn sich einzureden, dass du deine Meinung vielleicht nochmal änderst". Und es tat gut. Zwar weiß ich, dass ich meiner Mutter keine Rechenschaft schuldig bin und sie sowieso zufrieden mit mir ist, so lange ich es bin. Aber es tat gut sagen zu können, ich sei asexuell und mich dabei nicht komisch gefühlt zu haben. Vielleicht ja wegen der vasten Umschreibung, die Asexualität einem bietet. Danach kamen meine Brüder. Der Jüngste hat ein tierisches Interesse daran, was in meinem Leben los ist. Er langweilt sich sonst, es ist grausam. Ok, im Grunde verstehen wir uns verdammt gut und wir reden manchmal über Dinge wie Gefühle und so, weil wir beide einfach vollkommen andere Standpunkte haben und uns gegenseitig erden in der Hinsicht. Jedenfalls wollte er wissen, ob ich seit dem Debakel mit D. (der Kerl, der mein Freund sein wollte und dabei nur genervt hat) endlich einen neuen Kerl in Aussicht hatte. Und ich sagte ihm das Gleiche wie meiner Mutter. Es folgte ein intensives Skypegespräch, in dem mein Bruder im Beisein meiner Mutter versucht hat zu verstehen, wie ich so etwas Schönes wie Sex nicht missen kann. Meine Mutter hat ehr viel gelacht und meinte am Ende auch nur: "Also ich war mir schon bewusst, dass er nicht mehr unschuldig ist, aber wow..." Ich muss gestehen, ich bin wahnsinnig dankbar dafür, wie offen meine Familie mit so etwas umgehen kann. Und deshalb möchte ich die Sache in den kommenden Monaten auch mit meinen anderen Familienmitgliedern ansprechen, wenn das Gespräch wieder auf Jungs und Partner und ungezwungenen Sex fällt. Im Endeffekt bin ich an dem Punkt angekommen, an dem ich mich zwar nach wie vor wundere, ob die Stempel asexuell und aromatisch wirklich auf mich passen, aber es sind einfach die, die am besten beschreiben, was ich nicht sagen kann, ohne meinem Gegenüber an den Kopf zu schmeißen, dass ihn mein Leben nichts angeht. Und dann denke ich mir, wie das wohl den ganzen Teenagern von früher, heute und aus der Zukunft ergehen muss, wenn dauernd jemand kommt und zusätzlich Druck macht, um zu erfahren wer sie eigentlich sind, bevor sie selbst eine Chance haben es herauszufinden. Früher war es ja noch einfach: Entweder du warst wie die Gesellschaft es haben will oder eben nicht - und dann hast du dich versteckt und die Klappe gehalten und musstest lernen damit klar zu kommen. Mittlerweile ermutigen wir bereits Kinder, dass sie sich ausdrücken können und wissen müssen,w er sie sind und was sie wollen. Das finde ich schwer - wenn ich als erwachsene Frau nicht mal die Gewissheit haben kann, dass wie ich bin, das richtige Ich ist, wie sollen es denn Kinder? Vor allem, wenn man sie in einem riesigen Raum voll mit Begrifflichkeiten und der endlosen Möglichkeit an Identitäten schmeißt und hofft, dass sie schon wissen, was sie tun? Vielleicht bin ich auch nur leicht hysterisch und überdenke alles zu viel, wenn es um das eigene Gefühl geht. Vielleicht sehe ich auch nicht, dass es bei all diesen Möglichkeiten nur darum geht, dass man man selbst sein kann, ohne Angst haben zu müssen, dass es für einen selbst keine passende Schublade gibt. Aber woher soll ich wissen, wo ich reinsteigen will, wenn ich nicht alles kenne, nicht alles verstehe und nicht alles ausprobieren kann oder will? Jetzt brauch ich erst mal einen Tee... Nach dem ewig langen Text - ich hoffe in der Mitte sind nicht zu viele ausgestiegen - frage ich also einfach mal in die Runde, wie das bei euch so war? Nicht zwingend die Sache mit der Sexualität, sondern der Drang nach dem Label, nach der Schublade, in die ihr passen müsst, damit euer Umfeld euch sein lässt. |