HOW TO Alleine mit sich selbst |
Willkommen zu der Wiederbelebung meiner alten Reihe How To. In der Neuaufarbeitung der Reihe werde ich versuchen tief zu greifen und ganze 24 Jahre Lebensweisheit an den Mann zu bringen. Bis auf den kleinen eher humoristischen Ausflug in dem Kochblog hat die Reihe vorher nämlich eher der Information und dem fast schon Selbsthilfe-ähnlichen persönlichen Wachstum gedient. Und an diese beiden Elemente möchte ich anknüpfen. Ich komme einfach mit meiner Weltsicht zu ein paar Themen um die Ecke, wir reden nachher in den Kommentaren gemeinsam darüber, wie ihr dazu steht und versuchen uns dabei zu erinnern, dass ich kein Life-Coach bin, sondern einfach jemand, der wahnsinnig gut darin ist Leuten vorzugaukeln, ich hätte mein Leben im Griff wie keine zweite. Wirklich, ich bin genauso am Arsch wie ihr, also bitte bedenken: Als Lebenstipps ist die Nummer hier eher mit Vorsicht zu genießen. Aber jetzt genug Disclaimer, der nächste wird kürzer. Wir schließen ab mit einem großen Dank an derMessias als treibende Kraft hinter der "vielleicht hat Carmen ja was gescheites zu sagen"-Bewegung. Ihr und allen anderen, die mich dazu motiviert haben meinen Senf hier loszuwerden, ist diese Blogreihe in ihrer neuen Form jetzt gewidmet. (Ich erwarte euch in den Kommentaren.) Beginnen wir mit dem ersten Thema, weil es so schön unverfänglich ist und die gesellschaftlichen Erwartungen und Anforderungen so gering. Wartet, ich glaub ich habe meine Notizen durcheinander gebracht... Ich möchte einfach mal einen kleinen Exkurs in das Leben als junger Erwachsener starten und mir anschauen, was da alles auf einen zukommt. Und boy, oh boy, wie es aussieht hat so ziemlich jeder eine Meinung dazu wie unser Leben auszusehen hat. Ihr kennt das doch bestimmt auch, diese akut durchgeplante Meilenstein-Liste, unterteilt in Jahrzehnte oder gar Jahre und verschiedene Lebensabschnitte. Und es reicht nicht, wenn man selbst eine solche Liste hat. Nein, ein jeder im Umfeld - ob verwandt oder einfach nur eben kennengelernt - scheint eine Meinung dazu zu haben, wie eine solche Liste auszusehen hat. Und einige Menschen halten mit ihrer Überzeugung auch gar nicht hinter dem Berg. "Mit 18 bin ich mit der Schule fertig und beginne mein Studium, das ist dann mit 21 abgeschlossen und ich habe einen Job. Während dem Studium suche ich mir den Partner für's Leben und im letzten Semester ziehen wir zusammen. Wir heiraten nach anderthalb Jahren zusammen wohnen, denn wir wissen, dass wir uns lieben. Nach 5 Jahren im Beruf stehe ich vor der ersten Beförderung, weil ich will zu etwas kommen und Ziele erreichen, denn ich bin eine starke emanzipierte Frau. Das ist übrigens der perfekte Zeitpunkt für ein Kind. Gut, 27 ist etwas spät, aber wir versuchen es ja immerhin bereits seit der Heirat und meine biologische Uhr tickt. Es ist wichtig, dass ich Kinder bekomme, denn sie sind erstens ein Zeichen der Liebe zwischen meinem Mann und mir und beruflich habe ich ja schon beweisen können, dass ich stark bin. Jetzt ist es wichtig zu zeigen, dass diese Stärke auch meine Fraulichkeit beinhaltet. Am liebsten würde ich ja in einem netten kleinen Reihenhaus, Eigentum, am Stadtrand wohnen. Nah genug, um am Wochenende mal ins Getümmel, mal ins Grün zu kommen - je nach Laune. Dafür brauchen wir auch ein Auto, weil wir arbeiten ja in der Stadt, das ist wichtig. Große wichtige Jobs sind in der Stadt. Mit einem Kind reicht es auch nicht aus, wir brauchen mindestens zwei. Und bevor ich 30 bin will ich auch in einer Position sein, in der ich bestimmen kann - nicht nur, welche Farbe unser neugestaltetes Bad hat." Okay, ignorieren wir erst mal für einen Moment diese überaus heteronormative und von einem feministischen Standpunkt aus überaus als kritisch zu betrachtende Erzählung. Das ist das Beispiel, das ich meiner Oma vor ein paar Jahren mal an den Kopf geknallt hab und sie hat es nicht so ganz mit der neuen Welt, weshalb ich sie nicht noch zusätzlich wütend machen wollte, indem ich vorschlage ja vielleicht mit einer Frau zusammen zu wohnen. Sind wir ehrlich, so ähnliche Geschichten kennen wir alle. Immer wieder diese fast schon lauernden Kommentare: Weißt du was du später tun willst? Hast du einen Partner? Na, ist es was Ernstes? Versucht ihr es schon? Mal ganz im Ernst, willst du nur wissen, ob wir unverhütet miteinander in die Kiste springen, oder willst du tatsächlich Mitbestimmungsrecht in unserem Leben? Choose your poison. Ich persönlich empfinde solche Fragen und diesen dadurch unbewusst doch enorm verstärkten Druck als sehr lästig. Und ich weiß nicht, wie ihr das seht, aber ich habe dezent den Verdacht, dass der Gedanke, dass die ganze Welt uns nach einem gewissen Standard (ähnlich der oben beschriebenen Situation) bewertet und wir versagen würden, wenn wir das nicht leisten könnten. Kein Wunder, dass unsere Generation scheinbar depressiver und ausgebrannter ist, als jegliche Generation vor uns. Vielleicht stehen wir auch einfach nur in engerem Kontakt zu unseren Emotionen? Besonders störend ist für mich der Umstand, dass Frauen auch noch zusätzlich Stress wegen der Kinder gemacht wird. Du musst schnell den richtigen Mann finden und Kinder mit ihm machen, weil du wirst nicht jünger und jenseits der 30 wird es schwer werden, noch aus eigener Kraft ein Kind zu zeugen. Danke für den Input, aber erstens ist die Medizin weiter als vor 30 Jahren, zweitens dachte ich die Gesellschaft hätte sich auch weiter entwickelt (oder war die Erinnerung an Frauenrechte doch nur ein Fiebertraum?) und drittens, wer will denn bitte behaupten, dass ich ein Kind oder gar einen Mann haben will? Egal wie gut diese Menschen es auch mit einem meinen wollen, die Kommentare und Fragen sind wahnsinnig privat und haben meiner Ansicht nach nicht wirklich etwas in einem Gespräch über die Studienwahl verloren. Been there, didn't like it. Aber, was meckr ich hier rum; ich komme glücklicherweise aus einer recht kulanten Familie. Ich rede hier von meinen Eltern und meinen Brüdern - der ganze Rest hat noch weniger Mitspracherecht als sie und obwohl ich positive Zustimmung zu schätzen weiß, juckt es mich nicht, ob die jetzt glauben es wäre richtig oder falsch wie ich mein Leben führe. Uns wurde von klein an beigebracht, dass wir über unser Leben entscheiden und wir diejenigen sind, die mit diesen Entscheidungen leben müssen. Natürlich heißt das nicht, dass man nicht mal andere um Rat fragen kann, aber wir sind verantwortlich und nur nach diesem Verantwortungsstandard sollten wir uns bewerten. Natürlich klappt so etwas nicht komplett, die Erziehung passiert ja nicht in einem geschlossenen Raum, sondern auch in der Außenwelt (Schule, erweiterte Familie, Bekannte und Freunde, Hobbies). Aber allgemein wissen meine Brüder und ich, dass wir zu unseren Eltern zurückgehen können und es kaum eine Entscheidung gäbe, die den Wert unseres Lebens in ihren Augen mindern würde. Wir wurden also nie dazu gedrängt, uns für bestimmte Sachen zu interessieren, Beziehungen und Freunde zu haben, akademische Ziele zu erreichen, die wir nicht selbst erreichen wollten. Wir wissen, was Selbstständigkeit bedeutet und wie wichtig es ist, dass wir uns alleine durch das Leben schlagen können - ob wir nun müssen oder nicht. Aber leider ergeht es nicht jedem so. Vor allem im Vergleich zu meiner Kusine, welche von Anfang an erzählt bekommen hat, wie wichtig es ist, dass sie einen Freund hat. Es wird wohl wenige von euch wundern, dass sie sehr darunter leidet, wenn sie Single ist. Und nicht nur sie. Ich kenne viele Menschen, die alles und ihre linke Niere darum geben würden, in einer Beziehung zu sein. Diesen großen wichtigen Schritt, weil der Partner fürs Leben der einzige Grund ist, weshalb wir uns den ganzen Scheiß antun. Und sie wollen es nicht etwa, weil sie sich einsam fühlen und einfach jemanden zum Reden brauchen (in dem Fall würde ich sowieso eher einen Psychologen als einen Partner empfehlen). Nein, in den meisten Fällen kommt das aus dieser Idee, dass man nur in einer Partnerschaft vollwertig ist und dass nur ein Partner einem die Zufriedenheit im Leben geben kann, die man sucht. Selbstbestimmung was? We don't know her... Und dann kriege ich Angst und fühle mich unwohl, wenn ich merke, dass jeder einer Partnerschaft so viel zuspricht. Nicht nur, weil ich keine habe und es nicht einsehe. Nein, ich sehe immer mehr Leute, die gewollt sind in einer destruktiven und absolut toxischen Beziehung zu leben, weil eine Beziehung jeglicher Art immer noch so viel besser ist, als alleine sein. Und ich habe verstanden, dass für viele Alleinsein und Einsamkeit ein uns das Gleiche bedeutet - zumindest emotional. Meine Mutter hat eine Freundin, ca. Mitte - Ende 50 zurzeit. Sie ist meine Namensvetterin und eine richtig klasse Frau. Denkt euch esoterische Tante in dauerbekifftem Zustand mit der tollsten Sammlung an verrückten Ohrringen und einem Porsche 911 in knallrot. Gut, wenn sie redet würd ich ihr manchmal gerne einen doppelten Espresso intravenös geben, weil sie derart langsam und gechillt wirkt (soweit ich weiß raucht sie nix, but who knows). Meine Mutter redet oft mit ihr und dreimal im Jahr gehen die beiden in ein veganes Restaurant. Bis auf die schräge Autowahl und den veganen Lebensstil ist Carmen genau die Person, die ich in dem Alter auch sein möchte. Sie ist das naheste an einen Freigeist, das mir je untergekommen ist. Carmen hatte in ihrer Jugend leider nicht so viel Glück. Ich kann nicht bewerten, ob es vor 30/40 Jahren wirklich so viel schlimmer war mit dem Drang einen Partner zu finden, aber für Carmen fühlte es sich definitiv so an. Sie stürzte sich von einer Beziehung mit gewaltätigen Alkoholikern in die nächste. In einer Selbsthilfegruppe für Opfer häuslicher Gewalt geleitet von der Großkusine meiner Mutter haben die beiden sich kennengelernt. Vor 7 Jahren war Carmen mit ihrem Freund Daniel bei uns zu Besuch und weil sie es klasse findet, dass wir den gleichen Namen tragen, redet sie wahnsinnig gerne mit mir. Und sie erzählt ganz casual davon, dass sie Daniel 5 Jahre zuvor kennengelernt hat und sie seit 4 offiziell ein Paar sind. Daniel ist ihre erste Beziehung seit der Selbsthilfegruppe und Carmen glaubt, dass es was Gutes ist. Daniel ist ein Engel, verliebt über beide Ohren in Carmen und unseren Hund und wahnsinnig nett. Die beiden überlegen sogar, ob sie nicht heiraten wollen. Der Witz: So sehr sie sich auch lieben, die beiden wohnen nicht zusammen. Sie haben es für ein halbes Jahr versucht, aber es war einfach zu viel. Es ist wohl etwas dran, als Jim Carrey sagte, Einsamkeit wäre eine gefährliche Sucht. Wobei ich nach wie vor finde, dass es wohl einer Alleinsein statt Einsamkeit heißen müsste. Die beiden haben zu lange alleine gelebt und waren zu sehr daran gewöhnt nur sich selbst um sich zu haben, dass die Umstellung mit jemand anderem zusammen zu leben einfach zu kompliziert für sie war. Und in getrennten Wohnungen sind die beiden glücklicher denn je. Carmen sagt immer wieder, dass ihre 20 Jahre als Single die beste und schönste Zeit überhaupt waren. Nicht etwa, weil sie machen konnte, was sie wollte. Sondern weil sie Zeit hatte sich selbst kennen zu lernen und zu verstehen, wer sie wirklich ist. Mein Bruder hat eine ähnliche Entdeckung gemacht, als er sein Studium angetreten hat. Nach 2 Jahren ist er überzeugt davon, dass er es nicht schaffen würde auf Dauer alleine zu sein und zu leben. Ich hingegen sitze 680km von der Familie weg und habe manchmal Wochen, in denen ich 5 Tage am Stück die Wohnung nicht verlasse und keinen Menschen sehe und könnte nicht glücklicher sein. Alleine sein heißt nicht, dass es einem zwingend scheiße gehen muss. Alleine sein heißt einfach nur, nur sich selbst um sich zu haben. Wir haben Angst davor, alleine zu sein. Wir denken, alleine sein bedeutet einsam zu sein - und für manche Menschen kann dauerhaftes Alleinsein tatsächlich auch Einsamkeit bedeuten. Aber Alleinsein ist eine bewusste Entscheidung. Allein sein heißt sich von der Welt abnabeln und einfach mal für sich selbst da sein. Alleinsein ist in einer überromantisierten Sicht von mir die Freiheit zu essen und schlafen und singen und tanzen, wann ich will, ohne dass mir einer dazwischen redet oder ich auf jemanden aufpassen soll. Und es ist die Freiheit den Schlüssel in die Hand zu nehmen und die Wohnung zu verlassen und unter Menschen zu gehen und das Gemeinsam zu genießen. Vielleicht ist es auch einfach nur der Introvert, der hier aus mir spricht. Dadurch dass ich alleine bin, lerne ich zu verstehen, wann ich Menschen um mich brauche, um glücklich zu sein und ich lerne selbst einzuschätzen, wann ich wieder zurück in das Alleinsein will. Ich bin nicht gezwungen meine ganze Zeit mit einem Menschen zu teilen und für Momente der Ruhe den Raum verlassen zu müssen oder mich ins Bad zu verkriechen. Ich fühle mich dadurch selbstbestimmter, als ich es in einer Beziehung je würde. Und ich hab die Zeit und Energie dafür zu sorgen, dass ich mein Leben schön finde. Deshalb empfehle ich jedem gerne, dass sie doch einfach mal für eine gewisse Dauer Single sein sollen. Dass sie versuchen sollen - je nach Möglichkeit - alleine zu wohnen. Und einfach mal den Drang und den Stress von außen, dass man jeden Tag älter wird und es wichtig ist den richtigen Partner fürs Lebensende zu finden, links liegen lassen und sich fragen: Was macht mich eigentlich so wirklich glücklich? Alleinsein heißt nämlich noch lange nicht, keinen Menschen mehr zu sehen. Aber es heißt definitiv sich selbst näher zu kommen. Und ich fürchte ganz, in dieser überdurchschnittlich verbundenen Welt, in der Connectivity das Schlagwort allen Tuns ist, müssen wir echt wieder lernen, wer wir sind. |