INTERVIEW Warten auf den Storch |
Im Rahmen eines Seminars rund um das Führen von Interviews und das Erlernen verschiedener Interview-Techniken im Sommer 2019 hatte ich das Glück mit Julia (@fatladythinks) ein Interview zum Thema Kinderwunsch durchzuführen. Die Aufgabe des Seminars war es einen Interviewpartner und ein Thema zu finden, welches Aktualitätsbezug hatte und für zumindest eine bestimme Gruppe an Menschen, wenn nicht gar mehrere, von großem Interesse ist. Zusätzlich sollten wir uns überlegen in welchem journalistischen Kontext das Interview veröffentlicht würde. Ich war die Zeit sehr beschäftigt mit dem Thema Reproduktionsorgane der Frau und dadurch vertraut mit der jährlichen Welle der journalistischen Aufarbeitung von Gesundheitsthemen rund ums Kinderkriegen, beziehungsweise der Frage, wieso so viele Menschen es so schwer haben eine Familie zu gründen. Da kam mir Julia und ihr Kampf mit Ärzten und die Diagnose PCOS in den Sinn. Perfekter Ansatz. Und da im Seminar nur das Interview nötig war, ich es aber eindeutig wichtig fand die Krankheit als solche auch thematisieren zu können, finde ich es mehr als nur passend das Interview im Anschluss an meinen Beitrag von vor einigen Wochen mit raus zu bringen. Hallo Julia, magst du dich bevor wir beginnen kurz vorstellen? Ich bin Julia, ich bin 24 Jahre alt - ich fühle mich schon verdammt alt. Ich wohne im wunderschönen Thüringen und bin seit letztem Jahr Oktober verheiratet. Du fühlst dich alt? Wie das denn? Ja. Ehm, (lacht) allgemein so... Manchmal wäre ich gerne jünger. Zum einen wegen dem Thema Kinderwunsch, zum anderen die Karriere. Ich hab mir ja von älteren Leuten sagen lassen, dass kommt alles noch, wichtiger ist glücklich sein. Ja, es ist halt so ... bald kommt die 30. Aber du hast doch noch 6 Jahre! Ja, aber man macht sich trotzdem Gedanken. Es kommt ja auch viel Druck von draußen. Wie meinst du? Naja, man hat geheiratet, arbeitet und dann kommen irgendwann Kinder. Das ist so dieses Klischeedenken. Ich finde man kann nach der Hochzeit auch ruhig mal erst reisen anstatt Karriere zu machen und 3-4 Kinder zu haben. Es ist einfach deprimieren, dass die Gesellschaft nicht so denkt. Das heißt, du fühlst zwar den Druck, aber machst dennoch dein eigenes Ding? Ich bin zwiegespalten. Manchmal kommen diese typischen Fragen von wegen wie weit ist es denn mit dem Kind, was machst du beruflich, was für einen posten? Wenn ich darauf angesprochen werde, dann komme ich manchmal mit mir selbst ins Unreine. Empfindest du es als lästig oder belastet es dich regelrecht? Beides zugleich. Da kommt so eine richtige Druckwolke auf einen zu, dieser typische Gedanke eine Frau als Gebärmaschine zu sehen. Das ist sowohl nervend als auch erdrückend. Du möchtest Kinder haben, ihr habt es auch schon mal versucht? Wir haben es schon so oft versucht - ich war sogar paarmal schwanger- Aber letztens habe ich wieder einen negativen Test in der Hand gehabt und dachte mir, Scheiße, jetzt hat es wieder nicht geklappt. Dann kommen die Fragen der anderen, wann es so weit ist und ich denk mir die Zeit tickt. Ich komm zur 30, dann 40, dann 50 und bei 50 ist’s vorbei. Du machst dir also auch selbst Druck? Ja, aber nicht so viel, 60% ist von außen. Du hast gesundheitliche Probleme, die zum erschwerten Kinderwunsch gehören: PCOS. Wie war es für dich diese Diagnose zu bekommen? Ich wurde mit 15 diagnostiziert. Ich war jugendlich und habe nicht mal an Sex gedacht. Es war nicht der Mittelpunkt meines Lebens. Umso älter ich wurde, umso anstrengender wurde es einfach. Das kam später, zusammen mit den körperlichen Problemen - Haarwuchs, Stimmbruch, Haare am Kopf verlieren. Die typischen Symptome. Das kam alles erst viel später. Auch das Ausbleiben der Periode. Bevor ich Tabletten bekommen habe, da habe ich mich einfach nicht als Frau gefühlt. Mit den Tabletten ging es dann besser? Etwas. Ich habe meine Tage wieder bekommen und musste erst mal abnehmen - Übergewicht hilft nicht mit dem Hormon-Ding. Dann wurde ich paarmal schwanger und ja ... es war scheiße. Ihr habt es zu dem Zeitpunkt aktiv versucht? Ja, schon seit 2-3 Jahren. Wie viel Hoffnung hast du jetzt mit der aktuellen Therapie? Hoffnung hat man immer. Das Leben ist wie eine Achterbahn, mal geht es gut, mal nicht. Ich bin deprimiert zum Frauenarzt zu gehen; ich hasse es. Zur Zeit ist Pause mit dem Schwangerwerden, aber wenn wieder die heiße Phase kommt ... Ich will dann wirklich nicht auf den Stuhl. Aber die Kontrollen sind wichtig. Wie intensiv arbeitet ihr an dem Schwangerwerden? Eisprung habe ich nicht jeden Monat, also ist es schwer. Aktuell sind wir in Paartherapie und haben erst mal wieder gelernt miteinander zu schlafen, wenn wir Lust haben anstatt nach Plan. Denn das macht eine Beziehung auf Dauer kaputt. Hat es eure Beziehung denn stark belastet? Ja, wir brauchten Hilfe von außen. Seitdem klappt es schon viel besser. Beispielsweise letztens, als ich den negativen Test in der Hand hatte, da dachte ich wieder scheiße wieder nichts. Aber mein mann hat mich in den Arm genommen und gesagt: Schau mal Schatz, wir haben so viele andere Missionen - ein Hund, ein Haus. Der Weg kann nicht immer gerade gehen. Er verarbeitet das etwas besser als ich, rationaler. Er ist dein Fels in der Brandung? Auf jeden! Natürlich haben wir viel Scheiße erlebt, aber ich liebe ihn und er liebt mich. Wir haben nicht umsonst geheiratet und in einer Beziehung muss man manchmal eben kämpfen. Deine vergangenen Erfahrungen mit Niederlagen haben deinen Wunsch nach einem Kind nicht geschmälert? Es ist schwierig. Man entwickelt da Liebe - und ich bin bereit dem Menschen, der sich in mir entwickelt, Liebe zu geben. Aber die letzten Male dachte ich mir wieder: Ja, du bist jetzt in der 6. Woche, da hast du es verloren. Es ist nicht mehr so schlimm. In der 12. Woche find ich es schlimmer. Aber man hat dennoch Liebe dafür. Und es ist einfach bescheuert - es ist bescheuert dann zu wissen, dass es nicht geklappt hat. Du gibst dir aber nicht selbst die Schuld? Ich könnte meinem PCOS neunzigtausend Mittelfinger zeigen. (Stimme bricht) Wie ich reagiere ist manchmal vielleicht ein bisschen viel. Ich bin ein sehr emotionaler Mensch. Ich muss erst mal heulen und alles rauslassen. Es ist auch gut so. Die ganzen Verluste gehen einem sehr an die Psyche. Ihr lasst euch nicht unterkriegen und versucht es also weiter? Ja, natürlich. Mit Pausen dazwischen, denn der Körper und die Psyche müssen sich erholen. Wenn die Psyche scheiße ist - die ist aktuell bei mir scheiße - dann muss man etwas Abstand erhalten. Früher, wenn wir eine kleine Ehekrise hatten, dann dachten wir, machen wir komplett Pause, denn ein Kind kann eine zerstörte Ehe nicht besser machen. Sind die Eheprobleme durch den Kinderwunsch verstärkt? Nein, das ist kein Streitpunkt zwischen uns. Man hört immer wieder von Frauen, die für den Wunsch nach Kindern zu extremen Mitteln greifen. Habt ihr eine Schmerzgrenze, aber der ihr sagt, wenn es nicht klappt, dann soll es nicht sein? Wir versuchen auf der natürlichen Basis zu bleiben. Uns ist klar, dass wenn wir bis zur Kinderwunschklinik müssen, das ein sehr teurer Spaß wird. Aber ich habe eine Tante, die hat auch PCOS und die haben es geschafft ein Kind zu adoptieren und danach wirde sie dann einfach so schwanger. Das gibt mir Hoffnung es nicht aufzugeben. Das klingt wirklich schön. Sie ist mein Anker. Manchmal, wenn ich traurig bin oder etwas im Ferien mich triggert, dann rufe ich nicht meinem Mann an, sondern ihr. Sie sagt immer: Das Kind kommt, wenn man nicht mehr dran denkt. Ich weiß nicht, ich bin ein emotionales Ding und bei mir klappt es nicht, dass ich so abschalten und mich davon lösen kann. Aber ich versuche es! Ach du, ich kenne so viele, die fest davon überzeugt waren, dass sie nicht abschalten können, die irgendwann so zen sind, dass sie das Leben verpasst haben. (gemeinsames Lachen) Aber du hattest vorhin kurz angesprochen: Adoption, das wäre eine Option? Ja, aber es ist Plan Z. Adoption ist echt kompliziert - verständlich, aber was die alles verlangen... Was ich schade finde, ist dass Leihmutterschaft in Deutschland nicht erlaubt ist. Dann könnte man eine Eizelle von mir und eine Samenzelle von meinem Mann nehmen und eine Leihmutter könnte unser Kind austragen. Aber dafür muss man leider auswandern. Viele Frauen kämpfen, aus unterschiedlichen Gründen, mit unerfülltem Kinderwunsch. Hast du etwas, was du all diesen Frauen mit auf den Weg geben würdest? Egal was für eine Scheiße man hat, egal wieviele Babies man verliert und sonstiges, die Selbstliebe, die sollte man nie verlieren. Was bringt es mir, wenn ich den ganzen Tag weine. Meine ... ich nenn es mal Kinderseelen, ich werde die immer leben. Ich werde auch alle kommenden Kinderseelen lieben. Ich werde meine Kinder lieben. Aber man muss immer wieder Pause machen. Man darf nicht vergessen auch an sich zu denken. Mittlerweile sind fast 3 Jahre her, dass ich das Interview mit Julia geführt habe. Ich hatte vor einem Jahr kurz mit ihr geschrieben und mich darüber ausgetauscht, wie es ihr ging. Die beiden waren immer noch dabei es zu versuchen und auch nach anderen Möglichkeiten zu suchen, die vielleicht der Grund für die erschwerte Empfängnis waren. So wurde beispielsweise auch ihr Mann auf eventuelle Fruchtbarkeitsprobleme untersucht. Die beiden versuchen nach wie vor Kinder zu kriegen und lassen sich auch nicht unterkriegen. Erst vor kurzem habe ich wieder mit Julia geschrieben (ich bin großartig im Kontakt halten, ich geb es ja zu) und ich bin immer wieder sehr beflügelt davon, wie optimistisch und zuversichtlich die beiden sind und sich selbst durch Rückschläge nicht unterkriegen lassen. Ich wünsche den beiden alles Gute weiterhin und weiß, dass ich Freudessprünge und Purzelbäume machen werde, wenn es irgendwann heißt, dass die beiden sich den Traum ihrer Familie erfüllen konnten. Für alle, die sich wundern, wie das eigentlich mit der Leihmutterschaft aussieht, hier eine Grafik von Katapult: Ich arbeite parallel an einem Beitrag über Fruchtbarkeitsstörungen und wie die Politik das Kinderkriegen und generell Familienentstehung hemmt und mit was für Gründen beispielsweise stets versucht wird auf politischer Ebene in die Familienplanung einzugreifen. Wen das interessiert, Augen und Ohren offen halten, wenn es gut wird, schick ich es ans NT. |