DAS PERFEKTE ICH Durchschnittlich banal |
Lesedauer: 8 Minuten - Hördauer: 10 Minuten (Hörfassung) Content Warnung milde Sprache im Umgang mit: negatives Selbstbild, Mobbing aufgrund von Aussehen, Angst durch mildes Jugendtrauma Hinweis: Hierbei handelt es sich um einen kurzen Umriss meiner eigenen Erfahrungen in dem Bereich. Ich habe bewusst die etwas härteren oder potentiell stark triggernden Elemente weggelassen, damit es im Blog selbst etwas entspannter ist. Ihr dürft aber gerne Fragen stellen oder selber über eure Erfahrungen berichten. Die Kommentarfunktion würde ich deshalb vorsichtshalber nicht empfehlen, wer mit dem Thema nicht gut umgehen kann. Ich hab auch ein offenes Ohr für jene, die gerne mit mir über mich oder sich selbst reden möchten, das aber nicht öffentlich in den Kommentaren tun wollen. Wie bereits in der Einleitung geschrieben war Schönheit - und vor allem ich selbst als potentiell schönes Wesen - lange ein sehr unerforschter Gedanke meinerseits. Ich hab mir relativ lange keine bis kaum Gedanken darüber gemacht, ob ich mich selbst als hübsch empfinde. Ich hab auch offen gestanden lange nicht bei anderen darauf geachtet, ob diese als hübsch gelten oder nicht. Ich wünschte ich könnte sagen, dass es eine Entwicklung war, die die Pubertät mit sich brachte, doch dann würde ich lügen. Unsicherheit bezüglich meines eigenen Aussehens und die Frage, ob ich überhaupt als hübsch gelte oder nicht, kamen bei mir erst auf, nachdem mehrere meiner Klassenkameraden mir unmissverständlich vermittelt haben, dass die Abwesenheit solcher Gefühle und Gedanken schräg ist. Angefangen hat alles relativ harmlos damit, dass die meisten meiner Klassenkameraden angefangen haben sich zu schminken. Bei uns zu Hause hat sich bis auf meine ältere Pflege-Cousine (eine Information, die für viele verwirrend sein könnte, aber meine Tante hatte als ich klein war zwei Geschwister in der Pflege und die Tochter lebte bei meiner Tante bis sie mit 17 für ihr letztes Jahr ins Heim wollte - lange Geschichte, trägt kaum Relevanz bis auf den Umstand, dass ich für eine Weile eine Cousine hatte, die 5 Jahre älter war als ich) nie jemand geschminkt. Ich hab nie so wirklich verstanden, was der Reiz an Make-Up war, wusste aber, dass es zu dem Ritus gehört, den fast alle Mädchen beim Wechsel an die Weiterführende Schule durchgehen. Zumindest war das in Luxemburg so als ich in die 7. Klasse kam. Ich sah den Sinn darin nicht - für mich war es einfach nur mehr Arbeit morgens früh nach dem Aufstehen. Doch irgendwann kam dieser “Trend” unter meinen Klassenkameradinnen auf, dass man mit sich selbst unzufrieden sein muss - das wäre ein Zeichen von Reife und Selbstreflektion. Mir wurde also öfter vorgeworfen ein bisschen unreif zu sein, wenn ich im Anschluss an die Deutschstunde - in der wir über die Gefahren von kosmetischen Eingriffen bei jungen Menschen gesprochen haben, oh die Ironie - nicht mit mindestens drei Dingen aufwarten konnte, die mich dazu verleiteten mich hässlich zu fühlen. Das Ganze artete irgendwann so aus, dass Laura (die bis dato als hübscheste in der Klasse angesehene) und ich oft nicht mitgeredet haben. Und Laura fing irgendwann an mir in regelmäßigen Abständen zu sagen, dass sie findet, dass ich hübsch bin. Ich weiß bis heute nicht, wieso es ihr so wichtig war mir das regelmäßig zu sagen, aber ich hab es im Schnitt einmal die Woche zu hören gekriegt. Zu der gleichen Zeit bekam ich von einigen der Jungs zu hören, dass das erfrischen sei, wie ich mich nicht um mein Aussehen bemühe und dass ich ganz nett aussehe. Wie gesagt, auch das fand ich einfach nur schräg, einfach weil ich den Sinn dahinter nicht sah, mich zu sehr auf mein Äußeres zu fokussieren. So zog es sich einige Jahre lang. Von Kommentaren bezüglich meiner coolen Art im Umgang mit Schönheit bis hin zu abfälligen Kommentaren, wieso ich denn nicht wie alle anderen Mädchen sein will und ob ich meine, dass ich was Besseres wäre - ich durfte mir die gesamte Bandbreite anhören. Und irgendwann bekam ich Zweifel. War es wirklich so falsch, wie ich mich selbst sah? Wir wurden alle älter und die Hänseleien begannen sich auf ein neues Niveau zu heben. Bereits seit der 7ten Klasse trug ich selbst im Hochsommer noch lange Jeans, denn ich schämte mich um meine Beinhaare. Das fand seinen Höhepunkt im Sommer 2011, als mein Vater meine Mutter fragte, inwiefern es denn normal sei, dass ich so viel haarigere Beine hätte als er. Nicht das erste Mal, dass ich so einen Spruch zu hören bekam, aber definitiv einer der schmerzhafteren Momente. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und während einer Werbepause bei Germany’s Next Topmodel (die Nummer war geplant von vorne bis hinten, ich hab extra auf die dritte Werbeunterbrechung für Nassrasierer gewartet) habe ich meine Mutter darauf angesprochen und sie gefragt, ob ich mir die Beine rasieren darf und sie mir zeigt, wie es geht. (Zu dem Zeitpunkt habe ich schon seit 4 Jahren die Achselhaare rasiert, da ich wirklich grausame Probleme mit dem Körpergeruch hatte und das ein bisschen geholfen hat.) Ich begann also die gleiche Zeit mir die Beine zu rasieren, wie ich auch anfing mich zu schminken. Ich hatte mir zum 16. Geburtstag meinen ersten Mascara gekauft (meine Mutter war genauso überfordert wie ich, weshalb wir beide zu Sephora sind und uns von einer sehr netten Dame beraten haben lassen - die leider nur französisch konnte und ich tu mich selbst jetzt noch schwer jemandem auf Französisch zu vermitteln, wie ich meine Wimpern gerne haben möchte. Das ist einfach kein Vokabular, was man in der Schule so lernt.) Zeitgleich fing das Gespött wegen meiner Größe und meinem Gewicht an. Die ganze Diskussion rund um Körpermaße wird in zwei Wochen folgen, aber da sie maßgebend für den Beginn meiner allgemeinen körperlichen Unsicherheiten war, will ich sie hier nicht unerwähnt lassen. Ich merkte langsam, wie der Umgang kippte. Plötzlich waren in der Schule nicht mehr diejenigen angesagt, die gut waren und einem Mathe erklären konnten. Nein, Streber wie ich waren jetzt abgeschrieben. Jetzt ging es darum, wer am hübschesten ist und wer bereits den wie vielten Freund hat. Und auch die Jungs fingen damit an, die Leute in der Klasse so zu unterteilen. Ich hatte von einem Jahr auf das nächste fast keine Freunde mehr in der Klasse (gut, es kam zu einem Klassenwechsel und nur die Hälfte der Klasse bestand noch aus Mitschülern vom vorherigen Jahr - alles Jungs), nur noch zwei Jungs mit denen ich in der Freizeit Minecraft gespielt habe. Von den anderen wurde ich verspottet, weil ich so “anders” war. Haare an den Armen, schminke mich nicht genug, allgemein nicht hübsch, ätzender Charakter, pummelig. Es half nicht, dass meine buschigen Augenbrauen durch die Brille wie eine fette Monobraue aussahen. Ich will nicht sagen, dass die Aussagen grundsätzlich falsch gewesen wären - einige waren wohl wahr. Doch auch war ich mit diesen negativen Eingenschaften nicht die Einzige. Der Unterschied zu den anderen war nur: sie wurden als hübscher angesehen und deshalb wollte man sich mit ihnen abgeben. Dieser Trend hielt noch einige Jahre an und führte zu einer kleinen Störung meinerseits. Ich hab mich irgendwann angefangen selber als absolut nichtssagend zu empfinden. Ich wurde oft übersehen, man sprach mich nie an und fragte selten nach meiner Meinung, wenn man etwas über mich zu sagen hatte, dann meist ein negativer Kommentar über mein Auftreten. Ich fühlte mich, als würde ich zu den Hässlichen gehören - diejenigen, die man versteckt, weil man sich für ihr Aussehen schämt. Ich fing an hinter jedem hübschen Gesicht, hinter jeder schlanken Figur, hinter jedem perfekt sitzenden Eyeliner meine Mobber zu sehen. Ich fing an eine Art Angst vor hübschen Menschen zu empfinden. Und ich sah hübsche Menschen überall wo ich nur blickte. Es ist ein stereotypes Denken, welches sich bis heute noch verankert hat. Wenn ich jemanden mit gut sitzender Frisur und guter Kleidung sehe, dann will ich mich verstecken, mich klein machen, bloß nicht gesehen werden. Ich hab in Gesprächen diese panische Angst, dass man mich wieder daran erinnert, dass ich unansehlich bin. Ich fühle mich selber nicht mehr so - zumindest sehr selten. Ich habe gelernt mit selbst den kompliziertesten Dingen, die man an sich selbst lieben könnte, Frieden zu schließen. Ja, ich habe eine Reibeisenhaut, die bei Kälte lila gesprinselt aussieht. Soll man halt nicht auf meine nackte Haut glotzen, wenn einen das stört. Ja, meine Beine schwabbeln leicht beim Gehen - das tun aber auch die Beine meiner offen gestanden unterernährten Cousine, ein Fettproblem kann es also nicht sein. Ja, ich hab leichte Orangenhaut. Ich bin weiblich und jenseits der 20, ich kann froh sein dass ich bis 24 top Beine hatte. Die Liste führt sich in der Art weiter. Ich weiß, dass diese einzelnen Dinge wenn überhaupt persönliche Präferenzen festmachen. Vielen Menschen sind diese Attribute egal - vor allem wenn sie einen nicht mit dem Blick “potentieller Partner” ansehen. Wieso also sollte ich mir Gedanken darum machen. Und dennoch warte ich nur darauf, dass die nächste gutaussehende Person mich auslacht, weil ich mich mit erhobenem Kopf im Spiegel sehen kann und mir versucht dieses Recht streitig zu machen. Es ist blödsinnig und absolut hirnrissig. Aber die Wunden solch tief greifender Traumata heilen leider nicht in ein paar Jahren ab. Ich arbeite daran, dass ich diese Angst vor den anderen überwinde. Mit jeder Begegnung, die mir zeigt, dass meine Angst unbegründet ist, fasse ich mehr Mut für die Zukunft. Ich kann mich öfter im Spiegel ansehen und mir denken: joa, eigentlich siehst du gut aus, was soll es denn, was die anderen denken. Ich habe gelernt einige Unsicherheiten zu überwinden und mir bei anderen Mut zugesprochen, dass ich etwas dagegen tun kann. Und wer mich dennoch so unansehlich findet, dass er nichts mit mir zu tun haben kann, dann soll er gehen. Ich bin sicher nicht hier um irgendjemandem mit meinem Anblick das Leben zu versauen. |