Zuhause in der Fremde (durch
Precioso )
Über eine Million Menschen stellten seit Anfang 2015 einen Asylantrag in Deutschland. Sie kommen hauptsächlich aus Syrien, Afghanistan und Irak, sind vor den Kriegen in ihren Herkunftsländern geflohen. Ein Drittel von ihnen ist noch unter 18 Jahre alt und somit schulpflichtig. Doch wie soll man dem Unterricht in einem fremden Land folgen können, dessen Sprache und Kultur man noch erlernen muss?
Der sechszehnjährige Omar (Name aus Datenschutzgründen geändert) ist einer der sogenannten "Flüchtlingsschüler". Er hat sich mit mir über sein erstes Jahr in Deutschland unterhalten.
Für Omar ist vor allem der Unterschied zwischen seinem ersten Tag und heute spürbar – damals war es sehr schlimm für ihn, niemanden verstehen zu können und plötzlich sämtlichen Kontakt zu seinen Freunden verloren zu haben. Erschwert wurde die Situation zudem durch die Tatsache, dass ihm im angebotenen Sprachkurs zwar die deutsche Grammatik beigebracht wurde, jedoch die Möglichkeit fehlte über einen längeren Zeitraum mit jemanden auch Deutsch zu sprechen. Die meiste Kommunikation fand immer noch auf Arabisch und mit vielen Gesten statt.
Seitdem er das Gymnasium besucht, hätte sich das jedoch gebessert, so Omar. Jetzt spricht er im Alltag mehr Deutsch und hat die Chance, ein Gefühl für diese Sprache zu entwickeln. Und so wie es für sein Alter üblich ist, besteht Omars Alltag hauptsächlich aus Schule. Was ihm hierbei am meisten Probleme bereitet, ist die Art, wie gelernt und gelehrt wird. In Syrien bestanden seine Klausuren aus dem nüchternen Abfragen von Unterrichtsstoff. In Deutschland wurde aus dem Auswendiglernen ein Anwenden – plötzlich musste Omar in der Lage sein, die für ihn ohnehin schwer verständlichen deutschen Texte zu interpretieren und zu beurteilen. Dies ist einer der Gründe, warum er mit Fächern wie Mathe und Physik besser zurechtkommt als mit Biologie und Geschichte.
Aber Omar hat das große Ziel Abitur und gibt sich Mühe, dieses auch zu erreichen. Selbst wenn es ihm manchmal schwer fällt, die nötige Motivation dazu zu finden. Denn neben der Schule spielt ebenfalls das Stichwort „Integration“ eine ungemeine Rolle in seinem Leben – und hier birgt sich für Omar oft ein Konflikt: Einerseits muss und will er sein Deutsch noch weiter verbessern, anderseits haben seine Deutschkurse die Folge, dass er teilweise nicht am Unterricht seiner Mitschüler teilnehmen kann. „Ich fühle mich anders“, versucht Omar diese kleinen, fast schon alltäglichen, Situationen zu beschreiben.
Er fühlt sich anders, wenn er nicht dieselbe Klausur schreibt wie der Rest der Klasse, wenn er einen anderen Unterricht besucht, wenn er mitbekommt, wie sich seine Mitschüler für Freizeitaktivitäten verabreden, wenn ihn scheinbar alles daran erinnert, dass er hier zwar ein Zuhause, aber noch keine Heimat gefunden hat.
„Ich bin wirklich dankbar“, erklärt Omar, „wir leben hier in Sicherheit, und das ist sehr wichtig.“ Aber an manchen Tagen hat er einfach nur Heimweh.
Und wenn ihn jemand fragt, was er am meisten vermisst, dann kann er nur eines antworten – alles.
Deswegen macht Omar weiter. Er gibt nicht auf, auch wenn es ermüdend ist. Denn irgendwann möchte er wieder sagen können, dass er dazugehört.
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