Österreich wird bereits seit Tagen vom wohl stärksten politischen Erdbeben der zweiten Republik erschüttert. Das Ende des Bebens? – Nicht in Sicht. Eine Verbesserung des momentanen Zustandes? – Eine Wunschvorstellung.
Doch begeben wir uns erst einmal einige Tage zurück um die Katastrophe besser zu verstehen.
Am 17. Mai 2019 gegen 18:00 begann das Erdbeben, jedoch nicht in Österreich, sondern in Deutschland, von wo es schnell nach Österreich wanderte. Deutschland blieb jedoch von kleinen Nachbeben nicht verschont. An diesem Tag um jene Uhrzeit veröffentlichten nämlich zwei deutsche Zeitungen (und eine österreichische Zeitung) ein Video, welches ganz Österreich binnen Stunden veränderte. Es handelte sich um ein Video, in welchem der derzeitige Vizekanzler Österreichs, Heinz-Christian Strache, und der damals nicht amtsführende Wiener Vizebürgermeister, Johann Gudenus, in eine pikante Situation verwickelt waren. Beide gehören der FPÖ (quasi das österreichische Pendant zur Afd) an.
Strache und Gudenus trafen sich im Juli 2017 in einer von Unbekannten angemieteten Villa auf Ibiza mit einer vermeintlichen Nichte eines einflussreichen Öl- und Gasunternehmers aus Russland. Sie unterhielten sich im veröffentlichten Videoausschnitt unter anderem über größere Investitionen der Oligarchennichte in Österreich, darunter Parteispenden an die FPÖ. Außerdem bereden sich die Personen im Video zu einer möglichen Übernahme der größten österreichischen Tageszeitung („Kronen Zeitung“). Strache spricht davon, einige Leute „pushen“ zu müssen, während andere Mitarbeiter der Krone unbedingt abserviert werden müssen. Zusätzlich wollte er neue Personen in die Branche bringen um dann für einige Wochen vor der damals anstehenden Nationalratswahl die FPÖ „pushen“ zu können.
Weiters wurden im Gespräch Spendengelder aus Russland, kompromittierende Aussagen über die politische Konkurrenz, Verhältnisse zu Journalisten, das Glücksspielmonopol und österreichische Beziehungen zu Russland thematisiert. Strache bietet der russischen Oligarchennichte für ihre (finanzielle) Unterstützung unter anderem sämtliche Bauaufträge in Österreich an, einen privatisierten Sender des ORF (Österreichischer Rundfunk) sowie die öffentliche Wasserversorgung bis zu einem bestimmten Punkt zu privatisieren.
Das ganze Gespräch über fungiert Johann Gudenus als Dolmetscher zwischen dem deutsch sprechenden Strache und der russischen Dame.
Der veröffentlichte Videoausschnitt wurde aus dem 7 Stunden langen Videomaterial entnommen, welches an jenem Tag/Abend entstanden ist. Nach dem Urheber des Videos und möglichen Auftraggebern wird noch gesucht. Zunächst führte eine heiße Spur zum deutschen Satiriker „Jan Böhmermann“, welcher bereits im April in einer Dankesrede bei der Romy-Verleihung spaßte, dass Strache „gerade ziemlich zugekokst und Red-Bull-betankt mit ein paar FPÖ-Geschäftsfreunden in einer russischen Oligarchenvilla auf Ibiza rumhängt“ und „über die Übernahme der Kronen-Zeitung verhandelt“. Außerdem meinte er einen Tag vor der Veröffentlichung des Videos, dass morgen womöglich Österreich brennen könnte. Böhmermann kannte das Video schon einige Wochen, laut seinen Managern ist er jedoch nicht der Urheber. Ebenfalls verdächtigt wurden das „Zentrum für politische Schönheit“ und auch ein Wiener Anwalt, zu welchem momentan alle Spuren führen.
So viel zum Video – doch noch nicht genug zum politischen Erdbeben, welches eine Kettenreaktion von politischen Aktionen auslöste.
Am 18. Mai, einen Tag nach der Veröffentlichung des Videos, hatten Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Strache ein gemeinsames Gespräch. Nur wenig später wurde eine Pressekonferenz einberufen, in der Strache seinen Rücktritt von seinem Amt als Vizekanzler, Bundesminister und FPÖ-Bundes- und Landespartei-Obmann bekannt gab. In seiner „Rücktrittsrede“ sprach er davon, Opfer eines politischen Attentats und einer „Schmutzkübelkampagne“ geworden zu sein. Er bezeichnete das Treffen auf Ibiza als „b’soffene G’schichte“ und entschuldigte sich anschließend bei seiner Ehefrau und dem Bundeskanzler. Auch Gudenus trat von seinen Ämtern zurück.
Noch am Abend desselben Tages meldete sich Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zu Wort und kritisierte das Verhalten der FPÖ, mit welcher seine ÖVP in einer Koalition war, und kündigte vorgezogene Neuwahlen (frühestens Anfang September) an. Zuvor haben tausende Menschen vor dem Wiener Ballhausplatz den ganzen Tag lang protestiert und sich für Neuwahlen zum Nationalrat ausgesprochen. Weniger als eine Stunde später meldete sich Österreichs Bundespräsident zur Wort, welcher das österreichische Ansehen als beschädigt ansah und für einen Neuaufbau plädierte.
In Gesprächen mit der FPÖ erklärte Kurz, dass er die Koalition mit der FPÖ nur unter der Bedingung weiterführen würde, wenn der bisherige Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) abgelöst werden würde. Die FPÖ verlautbarte darauf, dass im Fall der Ablösung von Herbert Kickl alle Regierungsmitglieder der FPÖ zurücktreten würden. Nur einen Tag später schlug die ÖVP dem Bundespräsidenten die Entlassung von Herbert Kickl vor, welche dieser auch durchführte. Wie angekündigt traten alle Regierungsmitglieder der FPÖ zurück – nur Karin Kneissl, welche parteilos war aber von der FPÖ für das Ministeramt nominiert wurde, blieb im Amt. Die nun ministerlosen Ämter wurden mit vier Experten für das jeweilige Ressort besetzt, welche nun Teil der Übergangsregierung sein sollten.
In den Tagen danach bebte Österreich weiter und löste eine Dominoreaktion nach der anderen aus. Es ergaben sich viele parteiinterne Diskussionen bei allen Parteien, Menschen demonstrierten nun gegen Kanzler Kurz und viele Kleinigkeiten veränderten das (politische) Bild Österreichs. In einem anderen Bundesland Österreichs, in welchem die FPÖ ebenfalls Teil der Koalition war, wurden die nächsten Wahlen vorverlegt. In anderen Städten wurden entweder Rücktritte gefordert oder einzelne Politiker traten zurück.
Bereits dieser Tage kündigte die Liste JETZT an, bei der nächsten Nationalratssitzung ein Misstrauensvotum (Beschluss im Parlament, mit welchem man ein Regierungsmitglied oder die ganze Regierung des Amtes entheben kann – sofern eine Mehrheit für den Beschluss ist) gegen den Kanzler Sebastian Kurz einzubringen. In der Zwischenzeit wurde parteiintern bei den einzelnen Parteien diskutiert, ob sie diesem Misstrauensvotum gegen den Kanzler zustimmen würden. Die FPÖ war keineswegs abgeneigt, die NEOS entschieden sich sofort dem Antrag nicht zuzustimmen und die SPÖ diskutierte lange über die Angelegenheit. Schließlich verkündigte die Klubobfrau der SPÖ Pamela Rendi-Wagner am Abend nach der Europawahl (bei welcher die ÖVP übrigens 7,5% zulegte!!), dass ihre Partei den Antrag der Liste JETZT nicht unterstützen würde – allerdings einen eigenen Antrag einbringen würde, welcher nicht nur Sebastian Kurz sondern die ganze Regierung ihres Amtes entheben soll.
Am 27.05. passierte dann das Unglaubliche. Nach dem 186. Misstrauensantrag der zweiten Republik, wurde nach stundenlanger Diskussion im Parlament erstmals ein Votum gegen eine Bundesregierung erfolgreich durchgeführt. Der Bundespräsident muss nun die gesamte Regierung entlassen. Kanzler Kurz wurde sofort Geschichte, der Rest der Regierung bleibt noch für ihre Posten zuständig, bis der Bundespräsident eine neue Regierung gebildet hat. Seine Aufgabe ist es nun in den nächsten Tagen einen Übergangskanzler sowie neue Minister zu finden, welche bis zu den Neuwahlen im Amt bleiben sollen. Bis dahin leitet der bisherige Finanzminister Hartwig Löger die Geschicke der Bundesregierung.
Wie genau es nun weitergeht, weiß wohl niemand. Fest steht, dass Österreich zumindest bis zur vorgezogenen Neuwahl weiter bebt. Welche die weiteren Folgen dieses politischen Super-GAUs waren, wird sich erst in den nächsten Monaten zeigen und uns sicher das eine oder andere Mal überraschen – Bis dahin können wir nur abwarten, Tee trinken und das Lied „We’re going to Ibiza“ der Vengaboys nebenbei hören.
Wer mehr über die österreichischen Parteien erfahren oder die vollen Namen der mit Kürzel angegebenen Parteien wissen möchte, kann sich hier näher informieren.
Der Beitrag basiert ausschließlich auf Fakten und Ereignissen in der österreichischen Politik, welche sich zum Großteil in den letzten beiden Wochen ereignet haben.
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Dieses Mal möchte ich keine Fragen als Input zum Abschluss des Artikels geben, sondern euch so wenig wie möglich beeinflussen und einfach eure Meinung hören.
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