Wahrscheinlich haben die meisten bereits mitbekommen, was sich momentan im Osten Europas abspielt. Etwas, was unsere Generationen nur aus der Schule und den Geschichtsbüchern kennen - Russland hat nun offiziell den Angriff auf die Ukraine gestartet. Ich habe tatsächlich etwas länger über die Überschrift nachgedacht. Ukraine-Krise scheint mir generell unangebracht, weil es suggeriert, dass das Problem von der Ukraine aus geht. Auch die Bezeichnung eines Ukraine-Russland-Konfliktes beschreibt die Lage nicht angemessen, denn ein reiner Konflikt ist eigentlich schon länger nicht mehr. Wir sollten es beim Namen nennen - Russland führt Krieg in der Ukraine.
Damit ihr auch verstehen könnt, wieso die Situation so eskaliert ist, habe ich euch einen Zeitstrahl mit den wichtigsten Ereignissen der ukrainischen Geschichte bis hin zu den jüngsten Ereignissen vorbereitet.
Die Ukraine mit der Hauptstadt Kiew ist ein Land mit dem zweitgrößten Staatsgebiet in Europa und seit dem Fall der Sowjetunion 1991 unabhängig. Seither hat das Land mit ihrer nationalen Identität und der internationalen Rolle zwischen westlicher Orientierung und einer politischen Ausrichtung nach Russland zu kämpfen. Anders als die übrigen osteuropäischen Länder könnten sie sich nicht vollständig dem Einfluss Russlands entziehen und sind nach wie vor kein Mitglied der EU oder der NATO (Nordatlantisches Sicherheitsbündnis von 30 europäischen und nordamerikanischen Staaten).
Die Ukraine umfasst auch die südlich gelegene Halbinsel Krim, die nach einem Kampf um diese Insel zur Zugehörigkeit zu Russland gezwungen wurde, auch wenn die Ukraine dies weiterhin nicht anerkennt und die gesamte Krim weiterhin als ukrainisches Staatsgebiet betrachtet.
Im folgenden werde ich kurz zusammenfassen, was in der letzten Woche passiert ist. Für eine detailliertere Übersicht könnt ihr *hier* vorbeischauen. Bitte beachtet, dass wenn ich von Russland spreche, ich damit die russische Regierung meine und nicht die gesamte Bevölkerung. Am Montag, den 21. Februar, ordnet Putin die Entsendung von Truppen in die Ostukraine an und erkennt die pro-russischen Separatistenrepubliken als unabhängige Staaten an. Laut Putin habe seine Regierung alles dafür getan, die territoriale Unversehrtheit zu bewahren, doch aufgrund des anhaltenden ‚Genozids‘ an der russischen Bevölkerung in Donbass bliebe ihm keine andere Wahl. Ein Tag darauf werden Sanktionen verhängt.Am Donnerstag, den 24. Februar, kann man dann offiziell von Krieg sprechen. Russland startet einen flächendeckenden Angriff auf die Ukraine und bombardiere laut russischer Regierung nur Luftwaffenstützpunkte, doch schnell wird im ganzen Land von Explosionen berichtet. In einer Fernsehansprache warnt Putin davor, dass das Eingreifen anderer Staaten zu Konsequenzen führen wird, „die [wir] in [unserer] Geschichte noch nie erlebt haben“. Er kämpfe vor allem „gegen Neonazis“ des Kiewer Regimes, die die russischen Menschen acht Jahre lang misshandelt und ermordet haben sollen. Dass der ukrainische Präsident Selenkyjin selber Jude ist und wohl kaum diesen Teil der Weltgeschichte befürwortet, scheint unwichtig.Am Freitag, den 25. Februar, wird Kiew angegriffen. Es kommt zu Raketenangriffen und Teil der russischen Armee dringt in die Hauptstadt ein. In den nächsten Tagen verschärfen sich die Kämpfe in der Stadt, die komplette Infrastruktur ist zerstört und die Wege aus der Stadt raus sind blockiert. Auch im Süden und Nordosten des Landes wird weiterhin heftig gekämpft. Die EU wird in Zukunft weiterhin Waffen und Ausrüstung zu Verfügung stellen und der Luftraum über allen Eu-Staaten und auch Kanada ist für russische Flugzeuge komplett gesperrt.Bis heute werden die strategisch wichtigen Orte in der Ukraine attackiert, aber das ukrainische Militär und die Zivilbevölkerung leisten enormen Widerstand. Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht, viele sich bereits in den Nachbarländern angekommen. Da die Ukraine aber eine Generalmobilmachung erlassen hat, dürfen Männer zwischen 18 und 60 Jahren das Land nicht verlassen. Nun soll es heute Vormittag (28. Februar) zu Friedensgesprächen kommen. Die Ukraine fordert einen sofortigen Waffenstillstand und den Abzug der russischen Truppen.
Russland, Belarus und auch die Ukraine sind Nachfolgestaaten des historischen Reiches Kiewer Rus.
Das Reich Kiewer Rus zerfällt nach der Invasion der Mongolen in mehrere Fürstentümer.
Der Großteil des ukrainischen Gebietes wechselt die Zugehörigkeit, zunächst zu Litauen-Polen, dann zum Königreich Polen.
Die Osthälfte der Ukraine wird Teil der russischen Zarenherrschaft. Sie verliert schrittweise ihre Autonomie und die ukrainische Sprache und Kultur wird massiv „russifiziert“. Der Rest des Landes kann sich aber unter Habsburgischer Herrschaft weiterhin frei entfalten.
Gründung der Sowjetunion: Die Ukraine wird als Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik Teil der UdSSR, ist aber trotzdem als eigene Nation anerkannt.
Massenmord Holodomor: Die sowjetische Regierung zwingt die ukrainischen Bauern zu hohen Getreideabgaben, als Folge dessen bricht eine große Hungersnot aus, bei der 3,5 Millionen Menschen (über 10% der damaligen Bevölkerung) sterben.
In der Nachkriegszeit durchlebt die Ukraine einen Wiederaufbau mit starker Industrialisierung und es kommt zu großen Bevölkerungsumsiedlungen. Dabei wird die gesamte polnische Bevölkerung aus dem Westen der Ukraine ausgesiedelt und die ukrainische Minderheit Polens in die Ukraine zwangsumgesiedelt. Die Ukraine bleibt weiterhin Teil der Sowjetunion und bekommt zum 300-jährigen Jubiläum die Halbinsel Krim geschenkt
Ein Kernreaktor des ukrainischen Atomkraftwerks Tschernobyl explodiert und verseucht ca. 25% der Landmasse mit radioaktiver Strahlung. Es entstehen enorme Schäden für die Menschen und die Umwelt und gilt bis heute als der größte Unfall in der Geschichte der Atomenergie.
Nach dem Zerfall der UdSSR 1991 erhält die Ukraine ihre staatliche Unabhängigkeit. Das Land erbt mehrere Tausend Atomraketen, transportiert diese jedoch nach Russland ab oder zerstört sie. Als Kompensation erhält die Regierung finanzielle Hilfe aus den USA, günstige Energielieferungen aus Russland und Sicherheitsgarantien.
Im Budapester Memorandum verpflichten sich die USA, Russland und Großbritannien dazu, die territoriale Unversehrtheit und politische Unabhängigkeit der Ukraine nicht durch Gewalt oder deren Androhung zu verletzen, keinen wirtschaftlichen Zwang auszuüben, und auf jegliche militärische Besetzung zu verzichten.
Orange Revolution: Nachdem der von Russland unterstützte Kandidat Janukowytsch mithilfe von Wahlfälschungen die Präsidentschaftswahlen 2004 gewinnt, gehen Großteile der Bevölkerung wochenlang auf die Straße und protestieren. Nach einer Wahlwiederholung gewinnt Juschtschenko. Seither kommt es immer wieder zu inneren politischen Machtkämpfen und mehreren Führungswechseln.
Die Europäische Union möchte ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine abschließen, bei dem es um gemeinsame staats- und gesellschaftspolitische Ziele geht. Nachdem die ukrainische Regierung dieses Abkommen überraschend nicht unterzeichnen will, kommt es zu Unruhen in Kiew, in die die Polizei gewaltsam eingreift.
In Folge dieser Proteste wird der moskautreue Präsident Janukowitsch abgesetzt. Kurz darauf tauchen Soldaten auf der Krim auf und Russland annektiert die Halbinsel. Damit werden völkerrechtliche Verträge, wie bspw. die Achtung von Grenzen und die territoriale Integrität, gebrochen. Der Westen verhängt Sanktionen.
Im Nordosten des Landes, speziell in der Region Donbass, kommt es zu gewaltvollen Ausschreitungen zwischen der pro-westlichen und pro-russischen Bevölkerung. Seither kämpfen dort ukrainische Soldaten gegen die von Russland ausgerüsteten "Separatisten". Allein in dieser Region sind schon mehr als 14 000 Menschen gestorben.
Der Pro-Europäer Poroschenko wird gewählt. Dieser möchte zwar mit Russland in Dialog treten, langfristig aber Teil der EU werden. Er unterzeichnet das noch von 2013 offene Assoziierungsabkommen und Russland droht mit Konsequenzen. Kurze Zeit später wird ein Passagierflugzeug über dem Gebiet der Separatisten abgeschossen. Der Westen verdächtigt Russland und verschärft die Sanktionen.
Das erste Minsker Abkommen, unter anderem auch unterzeichnet von Russland und Ukraine, soll für Frieden sorgen und fordert bspw. sofortigen Waffenstillstand. Die Absprachen halten nur 3 Wochen. 3 Monate später beendet die Ukraine ihre politische Neutralität und möchte der NATO beitreten. Diese stationiert daraufhin dauerhaft eigene Truppen im Osten des Landes.
Mit dem zweiten Minsker Abkommen wird unter deutscher Vermittlung ein neuer Friedensplan ausgehandelt. Der Westen hebt die Sanktionen gegen Russland auf und im Gegenzug soll der Ukraine unter anderem vollständige Kontrolle über ihre Grenze zu Russland zugesprochen werden. Die Überwachung erfolgt durch das Normandie-Format, einer Zusammenkunft aus Deutschland, Frankreich, der Ukraine und Russland.
Wenige Tage später verkünden pro-russische Separatisten die Einnahme der Stadt Debalzewe und seither wird das Abkommen regelmäßig gebrochen. Der Sicherheitsrat der Ukraine ernennt Russland offiziell zum militärischen Gegner.
Putin rüstet sein Militär entlang der ukrainischen Grenze weiter auf. Seine Begründung: bloße Reaktion auf die angebliche Aufrüstung auf ukrainischer Seite. Sein Land fühle sich provoziert und er fordert den Verzicht auf eine Osterweiterung der NATO sowie US-amerikanisches Militär in ehemaligen sowjetischen Gebieten. Es sei kein Angriff geplant.
Diplomatische Verhandlungen zwischen einigen NATO-Staaten wie den USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien und Treffen mit dem russischen Präsidenten und seinem Außenminister sollen zu einem friedlichen Ausweg führen. Jedoch vergeblich. Die USA warnen vor einem Einmarsch Russlands und trotz auffälliger Bewegungen des russischen Militärs streitet Putin kriegerische Vorhaben ab. Er fühle sich lediglich bedroht.
Mitte Februar befinden sich fast 150 000 russische Soldaten im Grenzgebiet und die Kämpfe im Osten der Ukraine gehen wieder los. Putin erkennt die Separatisten-Gebiete Luhansk und Donezk als unabhängig an und sendet weitere Truppen.