Synästhesie ist ein neurologisches Phänomen, das rund vier Prozent der Menschen betrifft, wie Wissenschaftler der Universität in Edinburgh berechnet haben. Vermutlich liegt die Zahl aber deutlich höher, da viele Menschen gar nicht wissen, was Synästhesie ist und gerade Menschen mit einer leichten Form sich dem oft nicht bewusst sind. Dabei geht es darum, dass verschiedene Sinneswahrnehmungen gekoppelt sind, die eigentlich für sich stehen. Synästhesie tritt dabei in den verschiedensten Formen auf und ist individuell. Manche sehen Buchstaben und Zahlen und verbinden sie mit einer Farbe. Andere hören Töne und schmecken plötzlich etwas. MRT Untersuchungen ergaben, dass bei einer Sinneswahrnehmung tatsächlich zwei unterschiedliche Regionen gleichzeitig aktiviert werden.
Am häufigsten sind das farbige Hören und die Graphem-Farb-Synästhesie (siehe Liste unten). Besonders ist, dass die Verbindung zweier Merkmale, beispielsweise der Ton c und die Farbe blau immer dieselbe ist. Ein Synästhet nimmt dasselbe Objekt immer auf die gleiche Weise wahr, jedoch mit mehreren Merkmalen und die Art und Weise der Wahrnehmung unterscheidet sich je nach Person. Eine Auswahl häufiger Formen findet ihr hier (Deutschen Synästhesie Gesellschaft, www.synästhesie.org):
• Graphem-Farb-Synästhesie: Buchstaben und/oder Zahlen sind untrennbar mit einem Farbeindruck verbunden
• Farbiges Hören: Geräusche und/oder Musik werden gleichzeitig in Farbe und/oder Formen wahrgenommen
• Sequenz-Raum-Synästhesie: Zeiteinheiten wie z.B. Wochentage, Monate, das Jahr oder auch Ziffern besitzen eine bestimmte räumliche Anordnung bzw. Position vor dem inneren Auge
• Ordinal Linguistic Personification (OLP): Grapheme werden nicht nur mit Farbe und Form, sondern auch mit einem Geschlecht, Charaktereigenschaften und ggf. Emotionen belegt.
• Gefühls-Synästhesie: Emotionale Zustände werden farbig und/oder als Form wahrgenommen.
• Person-Farb-Synästhesie: Persönlichkeiten wird eine jeweils charakteristische Farbe zugeordnet. Auch die Zuordnung von Ziffern ist möglich.
• Ticker-Tape-Synästhesie: Wahrnehmung von gesprochenen, gehörten, gedachten Worten als „Newsticker“ oder durch Auftauchen der Worte für Sekundenbruchteile vor dem inneren Auge.
• Lexikal-gustatorische Synästhesie: Worte haben eine bestimmte Geschmacksrichtung und/oder auf der Zunge spürbare Textur.
• Andere Synästhesieformen: Oft werden auch Geschmacksrichtungen, Gerüche, oder Körperempfindungen, wie z.B. Schmerz durch eine synästhetische visuelle Empfindung begleitet.
Manche Menschen berichten sogar, die Gefühle anderer Menschen sehen zu können, beispielsweise in Form von Bildern, die sich dann um diese Menschen herum oder im Raum bewegen.
Eine ausführliche Liste von mehr als 80 beschriebenen Phänomenen findet ihr hier: http://www.daysyn.com/Types-of-Syn.html (leider nur auf Englisch).
Das Phänomen selbst ist zwar wissenschaftlich anerkannt, jedoch noch nicht genau erforscht. 1866 wurde der Begriff vom französischen Physiologen Alfred Vulpian erstmals festgehalten.
Später stellte der amerikanische Neurologe Richard Cytowic die Theorie auf, dass alle Menschen mit Synästhesie geboren werden. Babys müssen dabei erst lernen, wie sie Sinneseindrücke richtig wahrnehmen, verarbeiten und unterscheiden. Laut der Theorie bestehen bei der Geburt Nervenverbindungen zwischen den verschiedenen Gehirnarealen, die sich dann lösen – bei Synästhetinnen jedoch nicht oder nicht alle. So kommt es auch dazu, dass manche Menschen eine sehr ausgeprägte Form der Synästhesie haben, manche jedoch nur noch eine sehr eingeschränkte Form.
Andere Wissenschaftler gehen wiederum davon aus, dass Synästhesie von der Umwelt geprägt ist, sodass die individuelle Ausprägung von Interessen, Vorlieben und Kultur der betroffenen Person abhängt.
Oft tritt Synästhesie auch innerhalb von Familien auf. Demnach ist Synästhesie vermutlich vererbbar, jedoch ist auch das nicht genau geklärt.
Wichtig ist jedoch, Synästhesie nicht als Krankheit wahrzunehmen. Betroffene Personen können die Sinneswahrnehmungen nicht unterdrücken und besitzen diese ein Leben lang, wenn sie auch nach dem 50. Lebensjahr abnehmen kann. Es handelt sich weder um psychische noch neurologische Störungen, sondern diese spezielle Art des Empfindens findet tatsächlich im Gehirn der Menschen statt. Einige Studien ergeben auch, dass diese Art der Wahrnehmung gehäuft unter hochbegabten und sehr kreativen Menschen auftritt. Auch Frauen besitzen deutlich häufiger eine oder mehrere Formen der Synästhesie. Mit Synästhesie gehen oft auch Fähigkeiten wie eine gute Intuition, lange Ausdauer, ein hohes Energielevel und ein gutes Gedächtnis einher. Allerdings leiden diese Menschen auch häufiger an Geräuschsensibilität, Reizüberflutung und Aufmerksamkeitsstörungen.
Wer sich nun davon angesprochen fühlt und es genau wissen möchte, kann sich diesen Fragebogen der Deutschen Synästhesie Gesellschaft anschauen, den man auf Wunsch auch bewerten lassen kann: https://www.synaesthesie.org/de/downloads/DSG_Synaesthesie_Fragebogen.pdf.