Lang ist's her, dass wir uns mit Dada beschäftigt haben und nach meiner Sommerpause will ich unbedingt mit meiner Reihe zu den Kunstepochen weitermachen. Und wir gehen gleich weiter über in eine Kunstbewegung, die auch ganz gerne gegen traditionelle Normen rebelliert hat - der Surrealismus. Die beiden Epochen haben sich fast zeitgleich entwickelt (um die 1920er Jahre herum) und einige Dadaisten haben sich nach und nach eher dem Surrealismus zuwendet. Auch wie Dada beschäftigten sich die Künstler damit, die Erlebnisse des 1. Weltkrieges zu verarbeiten. Im Surrealismus spielten aber überwiegend auch die psychoanalytischen Theorien von Sigmund Freud, das Unterbewusstsein und die Traumwelt eine große Rolle. Die Bewegung wird also auch gerne als traumhaft, fantastisch und unwirklich beschrieben. Aber man sollte den Surrealismus, was wortwörtlich übrigens "über dem Realismus" bedeutet, nicht als ne Flucht aus der Realität verstehen, sondern eher als eine revolutionäre Bewegung, wobei gesellschaftliche Konventionen hinter einem gelassen werden und man zum Umdenken angeregt wird. Die Künstler haben also Träume und Rausche genutzt, um das Bewusstsein und die Wirklichkeit des "menschlichen Horizonts" zu erweitern und deswegen machen manche Kunstwerke auf den ersten Blick gar keinen Sinn oder schockieren einen ein bisschen. Ähnlich wie bei Dada lassen sich surrealistische Werke auch nur schwer kategorisieren, weil die Ausdrucksweisen dieses surrealistischen Bestrebens sehr individuell sind und die Künstler viel mit verschiedenen Mitteln experimentiert haben. Grob aufteilen kann man die Malerei des Surrealismus aber schon in zwei Richtung aufteilen, also einmal in den paranoisch-kritischen und den abstrakten/absoluten Surrealismus.
Bei diesem hyperrealistischen Malstil sind Gegenstände und Personen grundsätzlich klar zu erkennen und fallen durch deren Form und Farbe auf, aber passen auf den ersten Blick nicht immer direkt zusammen und die Motive wirken ein bisschen befremdlich. Der Spanier Salvador Dalí (1904 - 1989) ist tatsächlich einer der bekanntesten Künstler des Surrealismus, vielleicht kennt jemand von euch seinen verrückten Bart. Wie seine Kollegen und Kolleginnen auch war Dalí total an Sigmund Freud und Psychoanalyse allgemein interessiert und ist deswegen auch super gerne in die Traumwelt eingetaucht und hat die irresten Szenarien auf die Leinwand gebracht (also er hat auch er sich absichtlich in einen Wahnzustand hineingesteigert, um diese "handgemalten Traumfotos" zu kreieren). Wenn ihr also ein Bild vor euch habt, das aussieht wie was aus euren Albträumen oder von eurem letzten acid trip, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass das von Dalí ist. Schmelzende Uhren, irre Kreaturen mit Spinnenbeinen und karge Landschaften sind dabei immer wieder vorzufinden.
"Traum, verursacht durch den Flug einer Biene um einen Granatapfel, eine Sekunde vor dem Aufwachen" (kürzer hätte man den Titel nicht machen können oder?) aus 1944, beispielsweise, spiegelt typische Elemente Dalís perfekt wider. Es gibt unglaublich viel zu entdecken, ein tiefroter Granatapfel, eine nackte Frau, zwei Tiger-Löwen-Hybride, die aus dem riesen Mund eines Fisches springen, ein Gewehr und ganz random einen Elefanten auf mega langen Beinen,... Interpretieren kann man diesen (Alb)Traum auf total unterschiedliche Art und Weise, was das Gemälde umso interessanter macht.
Auch sehr bekannt ist "Die Beständigkeit der Erinnerung" (1931). Bei den schmelzenden Uhren wurde Dalí übrigens vom Schmelzen eines Camembert-Käses an einem heißen Tag inspiriert, was aber auch unterschiedlich interpretiert werden kann. Manche Leute sehen es als ein Nebeneinander von Hart und Weich (die weichen Uhren im Vergleich zu den harten Felsen in der Landschaft), andere sehen darin mehr eine visuelle Interpretation von Einsteins Relativitätstheorie und der Beziehung zwischen Raum und Zeit. Oder aber auch eine Darstellung der Zeit und ihrer Kontrolle über unser Leben oder des Zeitablaufs während des Träumens.
Dieser Zweig des Surrealismus ist vom Kubismus und abstrakter Malerei beeinflusst und die Künstler benutzten oft den "Automatismus", um ihre Werke kreieren. Damit konnten sie das Unbewusste so direkt wie möglich sofort auf die Leinwand übertragen, es wurde also versucht, schnell und intuitiv zu arbeiten, ohne groß darüber nachzudenken. Das Unbewusste ist also nicht nur das zentrale Subjekt des Kunstwerks, sondern eben auch gleichzeitig Teil des Prozesses. Der deutsche Künstler Max Ernst beispielsweise war ein Soldat im 1. Weltkrieg und das erkennt man auch in seinen Kunstwerken, also viel Sozialkritik und Darstellungen des Unterbewusstseins. Er war auch ziemlich humorvoll unterwegs und anfangs auch Teil der Dada-Bewegung. Er hat auch unglaublich viele verschiedene Materialien und Methoden ausprobiert und war vor allem von den Techniken inspiriert, die durch Zufall Kunst kreieren. Dabei sind oft absurde und ironische Bilder der Realität oder sinnlose Darstellungen des realen Lebens entstanden. Oft sieht man auch Mischwesen, also z.B. Gestalten aus Mensch und Tier.
"Ubu Impertor" (1923) soll eine Collage darstellen, aber eben in gemalter Form und ist eines seiner ersten Werke, die man dem Surrealismus zuordnen kann. Die komische turmartige Figur, die in der Wüste tanzt, gibt mir ein Gefühl von Stabilität, weil diese zwar unstabile Figur, die echt nur auf einer kleinen Spitze balanciert, als Konstrukt aber total kompakt gebaut ist und in nem ausgeglichenen Kontrast zum eintönigen Hintergrund steht. Find ich jedenfalls, ich hoffe, das macht Sinn.
"The Elephant Celebes" (1921) ist auch noch stark an Ernsts gemalten Collagen angelehnt, um diese merkwürdigen Kombinationen von einzelnen Motiven zu kreieren. Er kombiniert also die traumhafte Atmosphäre des Surrealismus mit den Collageaspekten von Dada. Aber als Vertreter des autonomistischen Malstils hat er vorher keine Skizzen oder vorläufige Entwürfe angefertigt. Die Idee für das Gemälde ist also spontan entstanden und Ernst hat's während des Malens kaum verändert. Wie man einfach erstmal auf so einen riesigen mechanischen Elefant kommt, zusammen mit ner kopflosen Schaufensterpuppe mit OP-Handschuh und zwei fliegenden Fische... Diese düstere, graue Stimmung kann zum Beispiel seine Kriegserfahrungen und den 'Mythos der Zerstörung' darstellen.