Erdbeben faszinieren und erschrecken die Menschheit schon seit Jahrtausenden. Viele Bücher über die Philosophie Europas setzen hier an und nennen den Griechen Thales von Milet, der im 6.Jh. v. Chr. gelebt hat, als den ersten bekannten Philosophen. Eine Erklärung nach dem Willen der Götter reichte ihm nicht mehr aus, er suchte nach einer alternativen Erklärung für Erdbeben und legte somit den Grundstein für die abendländischen Philosophie.
Philosophie reicht heutzutage nicht mehr für die Erklärung von Erdbeben. Dafür ist die Seismologie, eine Teildisziplin der Geophysik, zuständig. Eine zentrale Frage ist nach wie vor, wie Erdbeben entstehen. Diese sind vielfältig, jedoch entstehen 90% der Beben durch tektonische Ursachen und sitzen daher meist an Plattenrändern. Weitere 7% entstehen durch Vulkanausbrüche, 3% sind Einsturzbeben und menschlich induzierte Beben, z.B. durch Bergbau. Hinzu kommen künstliche Quellen wie Kernsprengungen oder Steinbruchsprengungen. Nach dem verheerenden Beben 1906 an der San Andreas Verwerfung in San Francisco mit einer Momentenmagnitude von 7.9 entwickelte Harry Fielding Reid die Reidsche Scherbruchhypothese, die sich mit den tektonischen Ursachen beschäftigt. Findet Bewegung an aktiven Plattenrändern statt, z.B. weil sich eine Platte unter die andere schiebt oder sich zwei Platten aneinander vorbei schieben, baut sich Spannung auf. Diese strapaziert das Material der Platten und wenn die Spannung die Festigkeit des Materials überschreitet, kommt es zum Bruch und die Energie entlädt sich u.a. in Form von seismischen Wellen, also Erdbebenwellen, die den Erdboden deformieren. Je nach Herdmechanismus werden verschiedene Formen von Wellen abgestrahlt. Allgemein unterscheidet man in Raum- und Oberflächenwellen. Raumwellen breiten sich in alle Raumrichtungen aus und komprimieren oder scheren Material. Oberflächenwellen breiten sich hingegen vor allem an der Erdoberfläche aus, daher konzentriert sich die Energie an der Oberfläche. Auch diese führen zu Komprimierung/Dehnung oder Scherung und da sie sich an der Oberfläche ausbreiten, sind eben diese hauptsächlich für die verheerenden Folgen von Erdbeben verantwortlich.
Quantifiziert werden Erdbeben mit Magnitudenskalen. Vermutlich hat jeder schon mal von der „nach oben offenen Richterskala“ gehört. Diese ist jedoch nur eine von vielen. Die meisten Skalen funktionieren jedoch nach dem gleichen Prinzip: Die Bodenbewegung bei Erdbeben wird mit Seismometern aufgezeichnet. Prinzipiell reicht hier die Vorstellung einen Seismographens. Dafür hängt eine Masse an einer Feder. Die Masse zeichnet kontinuierlich auf ein Blatt Papier, dass sich unter ihr durchbewegt. In Ruhelage ist dies ein gerade Strich. Bei Erdbeben bewegt sich die Masse, es kommt zu Ausschlägen. Diese können je nach Beben größer oder kleiner sein, besitzen also eine große oder kleine Amplitude. Diese Amplitude wird nun für die Richterskala ins Verhältnis zu einem Referenzereignis gesetzt, sodass man sagen kann, ob das Beben größer oder kleiner bezüglich des Referenzereignisses ist. Dieses wurde so gewählt, dass Beben positive Magnituden haben. Negative sind auch möglich, jedoch sind die Ursachen (z.B. ein gebrochener Stein auf einem Tisch) nicht von Interesse. Nach oben hin ist die Skala theoretisch offen. Allerdings sind viele Skalen gesättigt, d.h. sie nehmen gleichmäßig bis zu einer bestimmten Magnitude (z.B. M = 7 für die Oberflächenwellenskala) zu und dann nur noch in kleinen Schritten. Daher sind sehr große Beben (M > 7) oft nicht gut zu quantifizieren. Die Momentenmagnitudenskala Mw umgeht dies, sie definiert sich nicht über die Amplitude sondern über die physikalischen Prozesse am Bruch. Sie ist daher jedoch schwerer zu berechnen. Die Vielfalt der Skalen sorgt auch dafür, dass Narichtenberichte immer einen etwas anderen Wert für die Magnitude liefern. Auch die verwendeten Erdbebenstationen haben einen Einfluss, da das Referenzereignis für jede Station neu definiert wird. Trotzdem sind die meisten Magnitudenskalen irreführend, da sie logarithmisch definiert sind. Das führt dazu, dass eine Erhöhung um eine Magnitude einer Erhöhung der abgestrahlten Energie um den Faktor 32 entspricht! Schon ein Beben der Magnitude 4 entspricht einem kleinen nuklearen Sprengkopf. Auf der Richterskala würde ein Beben der Magnitude 10 sogar einem Bruch entlang des gesamten Erdumfangs entsprechen, die Energien bei Beben der Magnitude 9 sind also immens, ebenso die aus ihnen folgende Zerstörung. Solche Beben gibt es etwa alle 25 bis 30 Jahre. Das schwerste dokumentierte Beben ereignete sich 1960 in Chile und besaß eine Momentenmagnitude von 9,5.
Erdbebenwellen haben aber auch praktische Folgen: Mit ihnen können anthropogene Explosionen ausgemacht werden und Kernwaffentests lokalisiert werden. Nützlich ist hier, dass die entstehenden Wellen meist nur Raumwellen sind und nur zu einer Kompression/Dehnung führen, also zu keinen Scherungen. Das kann man in Seismogrammen von Seismographen beobachten. Mit Seismogrammen mehrerer Stationen können Seismologen dann präzise Auswertungen machen, wo die Kernwaffentests durchgeführt wurden. Dafür gibt es sogar spezielle Netzwerke und Deutschland liegt in einem Bereich, der z.B. besonders gut Wellen aus Nordkorea detektieren kann. Das liegt am Laufweg der Wellen in der Erde. Das gleiche Prinzip wurde auch ausgenutzt, um die Explosionen an Nordstream 2 zu orten und auf anthropogene Ursachen zu reduzieren. Außerdem stammt nahezu all unser Wissen über den Aufbau der Erde aus seismologischen Daten. Da Erdbeben extrem hohe Energien abstrahlen, können diese Wellen bis ins Erdinnere vordringen und wieder an der Erdoberfläche ankommen. Aus den registrierten Wellensignalen konnten im letzten Jahrhundert viele Aussagen über den Aufbau abgeleitet werden. Eine künstliche Generierung solcher Signale ist aufgrund der daraus folgenden Zerstörung und der technologischen Grenzen nicht möglich. Andere geophysikalische Methoden können maximal ein paar dutzend Kilometer in das Erdinnere eindringen, also nur ein Bruchteil des Radius‘ von 6371km. Daher liefern Erdbeben trotz ihrer Zerstörungskraft auch einen wichtigen Anteil für die Wissenschaft.
In Mitteleuropa sind wir weitestgehend geschützt. In Deutschland gibt es im Vogtland in Sachsen/Sachsen-Anhalt/Thüringen immer wieder kleine Schwarmbeben (bis M = 4), deren Herkunft vermutlich mit Vulkanismus zu tun hat (bzw. den Folgen von altem Vulkanismus). Ebenso gibt es in der Niederrheinischen Bucht und v.a. rund um Köln immer wieder kleine Beben aufgrund von Störungszonen im Untergrund. Die aktivste Region ist die Region und um Albstadt, südlich von Tübingen in Baden-Württemberg. Vor allem in letzter Zeit kommt es hier immer wieder zu Beben bis Magnitude 4, 1978 gab es hier sogar ein Beben der Magnitude 6,3. Hier müssen Gebäude schon angepasst werden an Erdbebengefahren. Die Gründe sind noch nicht geklärt, da die Gegend früher wie das Vogtland vulkanisch aktiv war, könnte auch das aus dem Vulkanismus folgen. Allgemein steht Deutschland wie auch die Schweiz und Österreich unter Stress aufgrund der Bewegung der Afrikanischen Platte nach Norden. Diese Bewegung führt auch zu der Erdbebengefahr im Mittelmeerraum. Leider sind Erdbeben nicht gut voraussagbar. Wie im Falle der Türkei können für bestimmte Regionen Aussagen gemacht werden, dass es in naher Zukunft Beben gibt (wie in Istanbul). Man kann lediglich beobachten, dass eine Region unter starken tektonischen Spannungen steht, die irgendwann die Festigkeit überschreiten werden. Man kann jedoch nicht sagen, wann. Frühwarnsysteme können daher meist auch nur Minuten vorher reagieren. Gerade genug, um kritische Infrastruktur zu sichern.