Kurz nach dem 18. November 1978 kursierten erschreckende Bilder um die Welt, die eine von leblosen Körpern übersäte Siedlung im südamerikanischen Guyana zeigten. Dort verloren an jenem Tag mehr als 900 Auswanderer aus den USA bei einem Massensuizid bzw. einem Massenmord ihr Leben. Das sogenannte „Jonestown Massaker“ gilt somit als eine der größten Tragödien der US-amerikanischen Geschichte. Doch was bewegte all diese Menschen dazu, ihren Traum von einem unbeschwerten Leben in der idyllischen Natur Südamerikas auf diese Weise zu beenden?
Die Ereignisse, die sich Ende der 70er-Jahre in Jonestown, Guyana abspielten, fallen auf einen Mann namens James Warren Jones, meist einfach „Jim Jones“ genannt, zurück. Geboren im Jahr 1931, wuchs Jim Jones in einem Amerika auf, das von starker sozialer Ungleichheit und Rassismus geprägt war. Da er selbst in ärmlichen Verhältnissen groß wurde und sich gesellschaftlich oft in der Rolle des sonderbaren Einzelgängers wiederfand, strebte er danach, eines Tages etwas an den Missständen im Land zu ändern. Bereits während seiner Jugend beschäftigte sich Jones daher intensiv mit den Schriften einflussreicher Personen, denen es gelang, abertausende von Leuten von ihrer Weltanschauung zu überzeugen. Dazu gehörten u. a. Marx und Lenin, aber auch Hitler. Außerdem entwickelte Jones schon früh eine Faszination für Religion, d. h. für die Macht, die sie über Menschen hat und den Zusammenhalt, den sie innerhalb einer Gruppe bewirkt. Er selbst war aber eigentlich Atheist.
Im jungen Erwachsenenalter betätigte sich Jim Jones gelegentlich als Prediger. Während seiner Gottesdienste sprach er sich stets für die Gleichheit aller Menschen und den Kommunismus aus, was in Zeiten des Kalten Krieges nicht gern gesehen war. Nichtsdestotrotz fand Jones, der ein charismatischer Redner war, vor allem unter seinen schwarzen Mitbürgern und anderen Minderheiten eine Hörerschaft. Dieser öffentliche Zuspruch bestärkte ihn letztendlich darin, eine eigene christliche Glaubensgemeinschaft zu gründen – den sogenannten „Peoples Temple“. Jones benötigte jedoch weitaus mehr Mitglieder, um seine Vision von einer besseren Welt allmählich zu verwirklichen. Daher gab er sich schon bald als Prophet aus und inszenierte regelmäßig Events, auf denen er Wunderheilungen an vermeintlich schwerkranken Menschen vornahm. Auf diese Weise generierte Jones eine Menge Aufmerksamkeit und schließlich auch eine große Anhängerschaft, die ihn regelrecht für den reinkarnierten Jesus Christus hielt.
Im Laufe der Jahre wurde immer offensichtlicher, dass die Religion für Jim Jones nur ein Mittel war, um Menschen für politische Zwecke zu mobilisieren und Macht auszuüben. So spekulierte man in 60er und 70er-Jahren sogar über Verbindungen zwischen dem Peoples Temple und linksradikalen Terrorgruppen, die für die Ermordung und Entführung mehrerer Menschen verantwortlich waren. Außerdem kamen Gerüchte darüber auf, dass Jones Mitgliedern seiner Glaubensgemeinschaft physisch und emotional missbrauchen würde. Als die Presse daraufhin begann, den Personenkult rundum Jones zu hinterfragten, überzeugte er seine Anhängerschaft davon, mit ihm in den südamerikanischen Urwald zu folgen. Dabei ging es ihm in erster Linie darum, die Mitglieder des Peoples Temple schnellstmöglich von den kritischen Medienberichten in den USA zu isolieren. Er und etwa 1.000 weitere Menschen wanderten 1974 somit nach Guyana aus, wo sie eine Siedlung gründeten, die sie inoffiziell „Jonestown“ nannten.
Der Traum der Peoples Temple-Mitglieder, endlich ein friedliches Leben fernab von Rassismus und jeglicher Diskriminierung zu führen, hielt nicht lange an, denn in Guyana offenbarte Jim Jones immer mehr von seiner tyrannischen Seite. Er konfiszierte jegliche Informationsquellen sowie Kommunkationsmittel und verbreitete stattdessen bewusst Falschmeldungen, um Hass gegen die USA zu schüren. Dabei erzählte Jones z. B., dass alle Schwarzen in naher Zukunft aus den Vereinigten Staaten ausgewiesen werden sollen. Des Weiteren hörte er die Leute heimlich ab und misshandelte jeden, der seine Autorität infrage stellte. Auch die Lebensumstände im südamerikanischen Urwald erwiesen sich eher als Albtraum – es mangelte an Lebensmitteln, man musste schwere körperliche Arbeit leisten und viele infizierten sich mit tropischen Krankheiten. Einen Ausweg aus diesem Grauen gab es für die Bewohner aber nicht. Die Tore der Siedlung wurden Tag und Nacht von Jones’ bewaffneten Lakaien bewacht und die nächste Stadt lag meilenweit entfernt.
Als besorgte Angehörige Informationen über die Zustände in Jonestown an die US-amerikanischen Behörden weiterleiteten, flogen der Kongressabgeordnete Leo J. Ryan sowie einige Reporter nach Guyana, um der Sache auf den Grund zu gehen. Obwohl Jim Jones seine Anhänger gründlich auf den Besuch vorbereitet hatte, hielten sich nicht alle an seine Anweisungen. Heimlich baten sie Ryan und die Reporter darum, ihnen zu helfen, aus Jonestown zu fliehen. Jones, der mit diesen Vorfällen konfrontiert wurde, behauptete allerdings, dass es allen Bewohnern freistehe, die Siedlung jederzeit zu verlassen. Daraufhin entschlossen sich 15 Mitglieder seines Kults dazu, zusammen mit dem Kongressabgeordneten Ryan und den anderen in die USA zurückzukehren. In einem Truck machten sie sich also gemeinsam auf dem Weg zum Flugplatz. Kurz vor ihrer Ankunft zog einer von Jones’ Anhängern jedoch eine Waffe und feuerte auf die restlichen Insassen. Aus einem weiteren Fahrzeug, das ihnen folgte, fielen ebenfalls Schüsse. Die meisten von ihnen starben.
Natürlich war sich Jim Jones über die Konsequenzen des von ihm angeordneten Attentates bewusst. Aus diesem Grund rief er seine Leute noch am selben Tag zu einem Massenselbstmord auf. Alle Einwohner von Jonestown sollten ein Giftcocktail zu sich nehmen, der sie innerhalb von wenigen Minuten töten würde. Viele nahmen den Tod aus Loyalität zu Jones widerstandslos in Kauf, wohingegen andere unter Gewalt zur Einnahme des Gebräus gezwungen wurden. Nur sehr wenigen Leuten gelang die Flucht. Erst am nächsten Tag entdeckten Soldaten, die durch die Überlebenden alarmiert wurden, das große Unglück. Sie zählten mehr als 900 Tote und darunter fast 300 Kinder. Jones selbst fanden sie mit einer Schussverletzung am Kopf, die er sich wahrscheinlich eigenhändig zugefügt hatte...
Häufig wird sich die Frage gestellt, ob man in Bezug auf die Geschehnisse in Jonestown überhaupt von einem "Massensuizid" sprechen kann. Zum einen wurden die Mitglieder des Peoples Temple jahrelang von Jim Jones manipuliert, zum anderen blieb ihnen auch einfach keine andere Wahl, als sich selbst zu töten. Hätten sie es nicht aus freien Stücken getan, hätten man sie zur Selbsttötung gezwungen. War es also nicht eher ein "Massenmord"? Wie man es auch nimmt: Es war, ist und bleibt eine Tragödie.