REPORTAGE Polyzystisches Ovarialsyndrom |
Lesedauer: 5-6 Minuten - Hördauer: 9 Minuten (Hörversion) Januar 2019 schrieb ich einen persönlichen Bericht über meine Eierstöcke und meinen Kontakt mit dem Phänomen Zysten an den Eierstöcken. Dabei habe ich kurz umrissen, welche Formen an Zysten es gibt (funktionelle und nicht-funktionelle Zysten) und wie sie sich entdecken lassen. Damals stand die Frage im Raum, ob ich einen Beitrag über PCOS, also Polyzystisches Ovarialsyndrom, schreiben könnte. Nach 3 Jahren komme ich also endlich dazu dieser Bitte nachzukommen. (Übrigens spiele ich mit dem Gedanken auch einen Beitrag zu Endometriose zu schreiben und werde versuchen, das nicht drei Jahre vor mir her zu schieben.) Ü B E R D I E K R A N K H E I T Der Begriff Polyzyistisches Ovarialsyndrom ist seit 1935 in der Medizin bekannt und beschreibt ein Krankheitsbild mit einer Reihe an spezifischen Symptomen. Diese sind eine ausbleibende oder sehr seltene Regelblutung, Adiposität beziehungsweise Neigung zu Fettleibigkeit und eine Erhöhung des Spiegels androgener, sprich männlicher, Sexualhormone. * Da es eine Krankheit mit so vielen unterschiedlichen Symptomen ist, welche selbst in unterschiedlichen Stärken und Ausprägungen vorkommen können, gibt es eine ganze Bandbreite an Richtwerten und Messfaktoren, die über die Jahre hinweg entschieden haben, was denn nun PCOS ist und was eventuell in welcher Ausprägung vorhanden sein muss, damit man als betroffene Person anerkannt wird. Die aktuelle Definition basiert auf den sogenannten Rotterdam-Kriterien von 2003 und erfordert dass zwei der folgenden drei Symptome auf den Patienten zutreffen: - chronischer Nachweis von verlängerter oder gar komplett ausbleibender Regelblutung (medizinisch auch Oligomenorrhö oder Amenorrhö bezeichnet) - polyzystische Ovarien (also Eierstöcke mit nachweislich mehreren Zysten pro Ovar) - klinisch oder chemisch nachweisbarer Hyperandrogenismus (heißt eine untypisch hohe Produktion an männlichen Sexualhormonen und den damit verbundenen Symptomen, welche von stärkerer Körperbehaarung, Stoffwechselveränderung, Stimmveränderung bis hin zu Haarverlust reichen können) D I A G N O S E U N D E I N O R D N U N G Diese Ansammlung an Kriterien sorgt hoffentlich auch bei Medizinlaien für fragend hochgehobene Augenbrauen. Da das Syndrom zwar seit fast 100 Jahre bekannt ist, sich aber lange über die genaue Symptomatik und Definition gestritten wurde und generell die Erforschung von Sexualkrankheiten - speziell wenn sie Frauen betreffen - lange Zeit keine Priorität hatte, ist es nicht weiter verwunderlich, dass das Krankheitsbild sich nicht komplett beschreiben lässt und eventuelle Fehldiagnosen (sowohl fälschlicherweise die Diagnose von PCOS wie auch eine nicht erkannte PCOS-Erkrankung) nicht unüblich sind. Ein gutes Beispiel für diese Unstimmigkeiten und die Frage danach, ob es denn jetzt PCOS oder nicht doch eine andere Erkrankung ist: Eine Störung der Hypophyse kann ebenso eine Störung in der Produktion von Sexualhormonen auslösen und somit Probleme wie Hyperandrogenismus und die Bildung von Zysten mit sich bringen, ohne dass es sich dabei direkt um PCOS handeln muss. Beziehungsweise stellt sich die Frage: Ist es nicht dennoch PCOS, da die Symptome stimmen, egal welchen Hauptauslöser es gibt? Diese Verwirrung spiegelt sich leider auch bei manchen Ärzten wieder, gerne kombiniert mit einer absoluten Versteifung auf die Relevanz spezifischer und ein Vernachlässigen anderer Symptome. Für eine richtige Diagnose von PCOS muss der Arzt absolut ausschließen können, dass die Symptome nicht durch ein anderes Problem ausgelöst werden. Hierfür sind eine ganze Vielzahl an endokrynologischen Untersuchungen von Nöten, um herauszufinden ob beispielsweise die Hormonstörung nicht vielleicht durch etwas anderes ausgelöst wurde wie, sagen wir wie oben beschrieben, eine Fehlproduktion der Hypophyse. Bei klinisch nachweisbaren Hyperandrogenismus gilt auch zu entscheiden, ob der beispielsweise starke Haarwuchs tatsächlich durch PCOS kommt oder nicht vielleicht doch eine genetische Erklärung mit sich bringt. Bei den Ultraschalluntersuchungen muss sich dann auch zeigen, dass es sich bei den Zysten nicht um irgendwelche anderen Zysten handelt, sondern dass es tatsächlich sogenannte Follikelketten sind. Das ist übrigens was PCOS so spannend macht - die Zysten sind jene, die man sonst von sogenannten funktionellen Zysten kennt. Heißt, es handelt sich um die Zystenbildung bei der Entwicklung von Follikeln, den Eizellen, die sich für eine Befruchtung und somit den Eisprung bereit machen. Je nachdem zu welchem Zeitpunkt während des Zyklus (und dabei kommt es manchmal auf Stunden genau an, um den Moment abzupassen) man ein Ultraschall gemacht bekommt, ist es möglich eine solche zugegebenermaßen winzig kleine Zyste zu erkennen. W I E F U N K T I O N I E R T P C O S ? PCOS ist also eine eigene Krankheit mit gar nicht so unüblichen Symptomen. Wie man die Krankheit bislang versteht ist der Auslöser eine Fehlkommunikation zwischen Gehirn, spezifischer der Hypophyse, und dem Eierstock. Kurz eine Erinnerung an den Sexualkundeunterricht in der Schule, wie das mit dem weiblichen Zyklus nochmal funktioniert. Der Eierstock produziert im Laufe des Zyklus mehrere Follikel. Diese werden durch das FSH Hormon der Hypophyse aus dem Schlaf geweckt und reifen heran. Jede Welle des Zyklus reifen also in den Eierstöcken mehrere Follikel heran, welche dabei Östrogen ausschütten. Steigt der Östrogenspiegel auf eine gewisse Schwelle an, schüttelt die Hypophyse das LH Hormon aus. Dieses Hormon sorgt dafür, dass sich eine der reifsten Zellen löst - es kommt zum Eisprung. Während die reife Eizelle also auf dem Weg durch die Eileiter zur Gebärmutter ist, produziert der Körper das Hormon Progesteron, angetrieben durch den Gelbkörper (die Reste des Follikels im Eierstock nach dem Eisprung) und kurbelt damit die Durchblutung und den Aufbau der Gebärmutterschleimhaut an. Wenn die Eizelle nicht befruchtet wurde, liegt sie eingenistet in die Schleimhaut da und wartet darauf, dass der Gelbkörper erschöpft und die Herstellung von Progesteron einstellt. Dies leitet die Regelblutung ein und startet damit den Zyklus auf ein Neues. Bei PCOS gibt es eine Störung im System. Die Kommunikation zwischen Hypophyse und Eierstock ist gestört und das FSH Hormon wird nicht im entsprechenden Maße ausgeschüttet oder angenommen. Das bringt das ausgeklügelte System zwischen LH/FSH komplett aus dem Gleichgewicht. Im Eierstock befinden sich lauter kleine Follikel, die nicht richtig heranreifen und sich nicht weiterbilden können und der im Vergleich zum FSH stark erhöhte LH Wert sorgt dafür, dass eine ganze Palette an androgener Hormone im Eierstock produziert werden. Dies bringt die klinischen Merkmale von Hyperandrogenismus mit sich - darunter Anovulation, das Ausbleiben des Eisprungs. Es reift keine Eizelle heran, die überhaupt befruchtet werden kann. Folglich kommt es auch nicht zur Gelbkörperbildung und der Aufbau der Schleimhaut bleibt somit aus. Die Folge dessen ist eine ausbleibende Regelblutung oder der stark verlängerte Zyklus. P C O S U N D F R U C H T B A R K E I T All das hat offensichtlich eine Auswirkung auf die Fruchtbarkeit - eine niedrige Fruchtbarkeit ist sogar oft der Grund dafür, dass man sich auf PCOS untersuchen lässt. Einer Schätzung nach betrifft PCOS vier bis zwölf Prozent aller Frauen im gebärfreudigen Alter in Europa und wird meistens zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr entdeckt. Am häufigsten betroffen sind Frauen mit Übergewicht und Anzeichen einer Insulinresistenz (dem Marker für eine Diabetes Typ 2 Erkrankung). Doch nicht falsch verstehen: Nur weil das die Norm ist, heißt das nicht, dass Frauen mit einem normalen oder niedrigen BMI Wert nicht auch an PCOS leiden können. Wir erinnern uns an die Rotterdam-Kriterien, die absolut nicht von der Notwendigkeit von Übergewicht zur Diagnose ausgehen. T H E R A P I E A N S Ä T Z E Wenn es um die Therapie geht, so gibt es verschiedene Ansätze. Die Frage ist, was genau therapiert werden soll. Wenn beispielsweise jemand unter PCOS leidet, aber keinen unerfüllten Kinderwunsch hat, dann wird für gewöhnlich mit einer Östrogen-Therapie nachgeholfen. Die synthetische Zuführung von Östrogen balanciert die androgenen Hormone aus und die Symptome der Hyperandrogenität verschwinden. Ist der unerfüllte Kinderwunsch jedoch das Problem, wegen dem man sich an den Arzt wendet, dann ist die Pille verschreiben natürlich der falsche Ansatz. In dem Fall wird oft in Kombination mit einem Ernährungsberater geschaut, was man tun kann, um vielleicht auf dem Niveau der Hypophyse eine Änderung mit sich zu bringen. Beispielsweise gilt oft bei Patienten mit einem erhöhten BMI Wert erst einmal den runter zu bringen - was allgemein schon wegen der drohenden Diabetes Gefahr ein lohnenswerter Ansatz ist. Dabei sollte man jedoch nicht vergessen, dass durch das hormonelle Durcheinander der Gewichtsverlust für Menschen mit PCOS bedeutend schwieriger und langwieriger ist, als für Menschen ohne Hormonstörung. Für den genauen Schlachtplan welche Therapie für welchen Patienten angebracht ist und welche Medikamente oder Lebensstilumstellungen dabei vielleicht helfen können bleibt aber nach wie vor ein Arzt der richtige Ansprechpartner. *Hierbei handelt es sich darum, wie die Krankheit bei “Entdeckung” 1935 beschrieben wurde und spiegelt, wie später im Text herauszulesen ist, nicht das aktuelle Verständnis der Symptomatik wieder. |