LEBEN Wie ich mit fast 26 meine “teenage angst” wieder entdeckte |
Lesedauer: 8 Minuten - Hördauer: 11,5 Minuten (Hörfassung) Letzte Woche stand ich unter der Dusche und habe, wie es nun mal üblich ist wenn man auf engstem Raum von bekachelten Wänden umgeben ist und Wasser auf einen hinab prasselt, über mein Leben nachgedacht. Beziehungsweise mein Lebensgefühl. Angefangen hat es ganz lustig. Beim Ausziehen habe ich an meinem linken Oberarm einen Schmerz gespürt - nicht unähnlich der typischen Muskelbeschwerden nach einer Impfung. Mit einem Schnauben dachte ich dann beim in die Dusche steigen, dass das vermutlich ein Zeichen dafür ist, dass mein Körper den 5G Chip wohl doch abstößt. Und während mir die ersten Tropfen noch kalten Wassers auf die Füße fielen, stockte ich. Und ich habe mich gefragt, wann der Punkt erreicht ist, an dem es noch gesund ist, sich darüber lustig zu machen. Wann habe ich zu viel emotionale Energie und blinde Wut und schreiende Verzweiflung an die scheinbare Idiotie anderer Menschen verschwendet? Die Fluttore sind geöffnet und das Gespräch vom gleichen Tag mit meinem Vater kommt wieder hoch. Ein Gespräch über die Ängste und Unsicherheiten bezüglich der drohenden und für meine Eltern bereits Realität gewordenen Lockerungen der Corona-Maßnahmen. Weg mit der Maskenpflicht im öffentlichen Raum. Die Unsicherheit und Verwirrung sowie das Gefühl der Betrogenheit und das Unverständnis medizinischer Launenhaftigkeit rund um das Thema Impfen brennen auf den Zungen. Warum wird man trotz Impfung noch krank? Warum werden nicht alle krank? Warum sterben einige trotz Impfung? Warum sind manche nicht geimpft und dennoch nie erkrankt? Warum gibt es keine schwarz-weißen Antworten? Und dann haben wir über Japan geredet und wie in Japan das Tragen einer Maske bei leichten Erkältungssymptomen die Norm ist. Wie einige Menschen Winter 20/21 feststellen durften, dass Maske tragen, sich nicht gegenseitig in der Tasche stehen und regelmäßig Hände waschen simple saisonale Erkrankungen wie Schnupfen fast komplett verhindern können. Wie das Gefühl, sich zumindest teilweise schützen zu können und andere vor Erkrankungen zu bewahren, für einige ein wahrlich beruhigender Gedanke ist. Mein Verständnis und mein Wissen über die japanische Kultur sind nicht ausreichend genug, als dass ich meine These zur gesellschaftlich akzetierten Ausbeutung und toxischen Einstellung zur Arbeitswelt und der Verantwortung eines jeden Individuums zum Erhalt und Vorantreiben der Gesellschaft nicht doch mit einem sehr großen Fragezeichen versehen muss. Ich, in meiner naiven und definitiv europäischen Weltsicht, kann nicht verstehen, was so löblich daran ist mit Grippe arbeiten zu gehen und dann zum Schutz aller einen Mundschutz zu tragen. Für mich schreit das nach Ausbeutung von Arbeitskräften. Deshalb finde ich es überaus pervers, wie wir dieses Benehmen hier in Europa fast schon über-romantisieren als große Nächstenliebe. Es ist eine Praxis aus einem Land, das ich vor 10 Jahren durch Zeitungsartikel kennenlernte, die auf die Zahlen der Suizidfälle unter Jugendlichen bedingt durch Burn-Out blickten. Eine gesellschaftliche Tragödie, die scheinbar unterstützt und sogar gefeiert wurde, da sie zeigte, wie aufopferungsvoll sich diese jungen Menschen der Gesellschaft verschrieben hatten und dass sie einfach nur nicht das hatten, was es bedarf, um in dieser Welt zu überleben. Vielleicht, habe ich das alles damals einfach nur falsch verstanden. Denn nach zwei Jahren weltweitem Wahnsinn habe ich für mich entschieden, dass jede Tat, welche mindestens einer nicht direkt beteiligten Person zu Gute kommt, gut ist, egal aus welcher Motivation heraus man sie begeht. Und das ist es doch. Es ist nichts weiter als abstrakte Taten im Nichts, im luftleeren Raum, in der Hoffnung, dass das Resultat der eigenen Wahrheit entspricht. Sich selbst gut reden, dass nichts tun besser für alle ist, als weiter machen wie bisher. Doch ich kann nicht anders, als Dinge zu hinterfragen. Als die Wahrheit anzuschauen und mich zu wundern, wie sehr sie mich belügt. Ich komme nicht umhin meiner eigenen Realität zu misstrauen und mich in Gedankenwelten umgeben von komplexen Plänen zum Sturz der Menschheit zu vergraben und zu hoffen, dass ich nur so denke, weil das Licht mich in meiner Schattenwelt nicht erreichen kann. Meine Mutter und ich haben diese Angewohntheit, dass wir versuchen Dinge mit einer fast schon kindlichen Neugierde zu verstehen. Warum? Und weil niemand einem eine Antwort auf die Frage geben kann, bleibt uns nichts anderes übrig, als wie ein komplett besessener Verschwörungstheoretiker eine Pinwand voller Theorien und Verbindungen aus bunter Wolle aufzustellen und zu versuchen mit eigenen Thesen um die Ecke zu kommen, nur um sie selber sofort wieder zu belegen. Ich bin jedes Mal aufs Neue verwirrt, wenn darüber geredet wird, dass die Corona-Impfungen nichts weiter als ein Test sind. Ein Test um zu schauen, wie blind die Bevölkerung der Regierung folgen würde. Eine Maßnahme, um alle der Regierung unliebsamen Menschen mit einem Knopfdruck ausschalten zu können. Dass Regierungsgegner sich deshalb nicht impfen lassen wollen, weil sie wissen, dass alle sterben werden, die die Impfung erhalten. Oder unfruchtbar. Oder dass am Ende, wenn alle bis geimpft sind, nur die “Würdigen” das Gegenmittel bekommen. Menschen, die derart davon überzeugt sind, dass ihr Gengut und ihre Herrschaftslinie weiterbestehen muss, da sie besser ist als alle anderen zusammen, haben plötzlich Angst davor als nicht würdig deklariert zu werden und gehen mit absolut schauderhaften Fehlinterpretationen des Konzepts Freiheit auf die Straße und versuchen sich für ihr eigenes Wohl einzusetzen. Ob sie denken, dass sich ihr Wohl nicht mit dem der Mehrheit deckt? Dass ihr Wohl bedeutet, dass andere sterben müssen, nur damit sie es gut haben können? Oder ob sie Angst davor haben, dass niemandes Wohl beachtet wird und dass wir als Gesellschaft nicht dazu in der Lage sind uns gemeinsam zu unterstützen und jeder nur nach sich selbst schaut? Ist diese Angst das Gegenstück zu den Mauerresten? Ist sie das, was einer Gesellschaft nach dem Trauma eines totalitären Staates unter dem Deckmantel der perfekten Sozialstruktur im scheinbaren Kommunismus noch in den Knochen singt? Es sind defintiv Ängste, die uns als Menschen dazu treiben krampfhaft zu versuchen Kontrolle über unser Leben zu erhalten. Wir haben Angst zu entgleisen. Wir haben Angst nichtig zu sein. Wir haben Angst, dass nichts uns etwas bringt. Wir haben Angst, dass unsere Angst am Ende das Einzige ist, was uns vom Leben übrig bleibt. Und wir sehen es in der ganzen Welt. Wir sehen es seit Wochen schon in Europa. Wir, die Kinder und Jugend der neuen Welt - der Welt nach der Angst vor dem “Gleichgewicht des Schreckens” - und wir kennen nur Sicherheit. Wir glauben es zumindest. Doch dann passiert, wovor jeder sich seit Jahrzehnten schon fürchtet und plötzlich verstehen wir, dass unser Gefühl von Sicherheit, unser Gefühl von Kontrolle, nichts weiter als eine absolute Farce war. Wir wissen nach wie vor nicht, was Todesangst ist. Wir wissen nicht, was kulturelle Existenzängste sind. Nicht falsch verstehen, Existenzängste sind uns nicht zwingend fremd. Doch mit ihnen steigen wir ins Bett, wie mit einem vertrauten Liebhaber - und wenn sie uns verbrennen, dann zucken wir mit den Achseln und tun so, als wäre es eine freiwillige Entscheidung gewesen und wir seien selbst Schuld am Ausgang. Deshalb sind wir diejenigen, die den großen Hype um NFTs und den Aufschwung von Kryptowährungen so gespannt beobachten. Wir spalten uns in zwei Gruppen. Auf der einen Seite, die Angst vor dem finanziellen Ruin, die Angst etwas zu verpassen und die Angst nicht genug getan zu haben. Auf der anderen Seite die Ohnmacht und das Unverständnis. Ein fast schon verbitteretes Verurteilen all jener, die ihre Angst packen und in blinde Taten umsetzen. Wir stehen da, aphatisch und schauen zu, lachen hinter vorgehaltener Hand und zeigen mit dem Finger. Wir tun, als wären wir besser, nur weil wir weder den Drang zur Flucht, noch zum Kampf verspüren. Es ist eine Ohnmacht, mit der ich seit über fünf Jahren kämpfe. Das Verständnis, dass unsere gesamte finanzielle Sicherheit - der Umstand, ob ich mir morgen noch mein Brot kaufen kann - komplett und unwiderruflich auf einem "dude, trust me" basiert. Und wir tun alle so, als wäre das normal und nicht besorgniserregend. Als wäre unsere Existenz nicht komplett von der Laune einer einzelnen Person abhängig, die uns von einem Tag auf den anderen von erhoffter Sicherheit in absoluten Ruin und Zerstörung treiben kann. Wir bauen echte Häuser auf Bauland für Traumschlösser und hoffen, dass sie uns nie davon fliegen. Erinnert ihr euch, als zu Beginn des neuen Jahrzehnts gesagt wurde, dass wir die wilden 20er aufleben lassen wollen? Es war ein Irrtum, wir haben uns verrechnet. Wir befanden uns am Schlusslicht des Revivals der Belle Époque und nach zwei Jahren Pandemie fühle ich mich, als hätte ich in einer Opiumhöhle mein Dasein gefristet. Zeit ist nichts außer im trägen Rausch auf die bevorstehende Überdosis zu warten. |