REPORTAGE Ernährung 1 - Warum mich die Diskussion um Zucker irre macht |
Lesedauer: 11 Minuten - Hördauer: 17 Minuten (Hörfassung) Erster Teil aus meiner Reihe rund um Ernährung. Die Diskussion um Zucker und den Verzicht von Zucker macht mich wütend. Der Dialog rund um das Thema bringt mich ans Verzweifeln und Haare Raufen. Aber wenn ich das sage, dann vertehen viele nicht wieso. Es ist doch gut, dass über den Zucker in unserem Essen berichtet wird. Es ist doch gut, dass wir versuchen der Erkrankung durch Zucker etwas entgegen zu wirken und die Menschen zu informieren. Aber worüber genau informieren die Artikel denn eigentlich? Die Droge Zucker Überall liest man davon, dass Zucker krank und süchtig macht. Beides ist medizinisch bewiesen und absolut richtig. Unser Gehirn verarbeitet Zucker ähnlich wie eine Droge - kein Wunder, wer kann dem super schnellen Energieboost schon wiederstehen. Dass der Zucker sich schlecht auf sehr viele Organe auswirken kann und vor allem der Leber tierischen Schaden zufügen, ist auch keine neue Information. Deshalb gilt es Zucker zu vermeiden, wenn man gesund leben möchte. Wie man das tun kann, dafür gibt es viele Tricks. Etwa das ausweichen auf gesündere Zucker-Alternativen oder den kompletten Verzicht jeglichen Zuckers. Doch wovon genau sprechen denn alle, wenn sie von “Zucker” reden? Denn genau da beginnt schon die erste Hürde. Was ist Zucker? Gesunde Alternativen? Die meisten denken bei dem Wort Zucker an handelsüblichen Zucker wie wir in im Supermarkt im Kilopäckchen kaufen können. Saccharose ist der wissenschaftliche Name. Daher ist es nicht verwunderlich, dass als gesunde Alternative gerne Honig, Ahornsirup, Agaven-Dicksaft oder Kokoszucker genannt wird. Denn immerhin ist das kein raffinierter Zucker. Brauner Zucker ist zwar auch Zucker, aber es ist halt nicht raffinierter Zucker und der ist schlecht. (So die Argumentation.) Doch dann schwirren einem noch vage die Begriffe Glukose und Fruktose im Kopf und plötzlich wird es verwirrend. Deshalb dachte ich mir, gehen wir die Sache mal wissenschaftlich an - und erinnern uns zurück an den Bio-Unterricht. Der Glykämische Index als Messwert für "Gesundheit" Als häufiges Argument, weshalb verschiedene Zuckeralternativen gesünder sind, als andere, wird der Glykämische Index (GI) genannt. Der GI ist eine Messskala, bei der die Verarbeitung von Glukose im Blut gemessen wird, daher auch der Name. Glukose ist eine Form von Zucker (bekannt auch unter dem Namen Traubenzucker), die sehr simpel ist. Je komplexer die molekulare Struktur von Dingen, die wir essen, desto mehr müssen sie verdaut werden; denn nur Kleinstteile können von unserem Körper aufgenommen und wiederverwertet werden. Glukose ist in der kleinsten Form, kann also direkt vom Darm in den Blutkreislauf gegeben werden und wird dort an die Zellen gegeben für Energie. Glukose ist Energie für den Körper. Und Glukose treibt den GI somit auch schnell in die Höhe und hat einen Wert von 100. Fruktose im Gegensatz zu Glukose Bei beispielsweise Agavensirup ist der GI sehr niedrig. Wieso? Nun, Agavensirup besteht zum Großteil nur aus Fruktose. Genau wie Glukose befindet sich Fruktose bereits im kleinsten Zustand und gelangt ohne Verarbeitung vom Darm in den Blutkreislauf. Fruktose und Glukose sind nicht das Gleiche, deshalb kann man im Körper kaum Glukose nach dem Verzehr von Fruktose feststellen. Aber leider kann unser Körper aus Fruktose nicht direkt Energie schöpfen. Die Fruktose wird also in der Leber umgewandelt. Dort entsteht daraus Glukose und - im Falle eines Überkonsums, also wenn mehr als 25% des täglichen Kalorienbedarfs durch Fruktose gedeckt werden - Fett, konkreter Triglyzerid und Cholesterin. Deshalb steht Fruktose in erhöhten Mengen schon länger im Verdacht sogenannte Fettlebern zu begünstigen und damit richtig krank zu machen. Und was ist dann raffinierter Zucker? Raffinierter Zucker, Saccharose, ist eim Kombi-Zucker bestehend aus Glukose und Fruktose. Heißt, der GI ist relativ hoch, aber nicht so extrem wie eine pure Glukose-Lösung. Im Darm werden die beiden Zucker dann getrennt und entweder sofort genutzt oder im Kohlehydratspeicher gehalten und in der Leber verarbeitet. Das System ist lückenhaft Aber niemand nimmt Zucker so zu sich, wie in den medizinischen Studien, in denen den Probanten der Zucker roh mit dem Löffel eingeflößt wird. In den meisten Fällen nehmen wir den Zucker verarbeitet zu uns. Erst einmal ist in vielem, was wir essen, nicht wirklich so viel Zucker drin, wie einem in klinischen Tests verabreicht wird. Hinzu kommt, dass beispielsweise Fette (vollkommen egal ob jetzt “gute” oder “schlechte”) die Verdauung verlangsamen und dafür sorgen, dass die Nährstoffe - darunter auch der Zucker - langsamer in den Blutkreislauf gegeben werden. (Daher kommt es, dass selbst wenn man mit etwas kocht, wo Glukose mit drin ist, der GI niedriger ist, als bei der üblichen Dosis von 20g purer Glukose aus den Laborversuchen.) Was bringen Zuckeralternativen? Die Gesundheits-Lüge der Super-Food Industrie Ein ähnliches Bild bietet sich uns, wenn wir andere Zucker-”Alternativen” genauer unter die Lupe nehmen. Sie alle sind … Zucker. Nektar ist eine zuckrige Lösung. Zucker ist Zucker. Wo Zucker oder Nektar drauf steht, da ist auch Zucker drin. Der Hype um die Suche nach gesünderen Alternativen leitet uns schnell in ein Feld gefüllt mit Lebensmitteln, die scheinbar absolut magisch für den Körper sind. Schnell fällt auch der Begriff Superfood, denn das Produkt enthält "wertvolle Mineralien" wie Eisen und Zink. Das Problem: diese Mineralien sind in fast all unseren Lebensmitteln drin - sogar in raffiniertem Zucker. Dieser wird nur nicht mit dem Label “eisenhaltig” verkauft, da es sich um eine schlechte Eisenquelle handelt. Wenig Eisen, schlecht zu verarbeiten, keine gute Quelle. Dass dann Kokosnusszucker als genau so ein Wundermittel verkauft wird, obwohl es genau die gleiche Form und Anzahl an Mineralien hat wie herkömmlicher Zucker spricht Bände über den Markt der sogenannten gesunden Superfoods. Es sind und bleiben leere Kalorien, aus denen wir außer Energie nichts ziehen können. Honig ist eine ähnliche Geschichte. Es handelt sich um etwas komplexeren Zucker mit sowohl Fruktose, Glukose und Saccharose, zusätzlich aber auch Maltose, bzw Malzzucker. Hierbei handelt es sich um ein stärkehaltiges Zuckerprodukt, eine komplexere Form von Glukose. Um die entzündungshemmende und antibakterielle Wirkung von Honig streite ich mich hier mit niemandem, sagen wir nur, dass beide Punkte bei Honig als Nahrungsmittel absolut irrelevant sind. Und das absolute Wunder Ahornsirup ist im Grunde genommen nichts anderes als Kokoszucker und somit sehr ähnlich dem raffinierten Zucker. Zucker ist und bleibt Zucker Einfach nur den einen Zucker durch den anderen ersetzen ist also absolut nicht gesünder. Denn auf einen Fruchtzucker umsteigen sorgt nur dafür, dass mehr Fett in der Leber freigesetzt wird und wir alle wissen, dass das schlecht für das Herz ist. Der einzige Vorteil: Das ist der negative Effekt von Zucker, den wir einfach an uns selbst beobachten können. Die paar Kilos mehr auf der Waage, das Loch am Gürtel weiter. Denn durch die großen Mengen an Saccharose und somit automatisch Fruktose in unseren Lebensmitteln, kommt es zu bedeutend mehr Fruktose und auch Glukose als für unseren täglichen Energiebedarf von Nöten ist und somit auch Gewichtszunahme. Aber für die allgemeine körperliche Gesundheit ist bei übermäßigem Verzehr von Zucker tatsächlich raffinierter Zucker die “gesündere” Alternative. Sofern man bei dem ungesunden Konzept von Überkonsum von einer gesunden Variante reden kann versteht sich. Zucker: Der Stoff, der unseren Motor am Laufen hält Und jetzt ein bisschen Mindfuck für alle, die noch nicht eingeschlafen sind. Zucker ist das Wort, welches wir in der Umgangssprache gerne für fast alle Kohlenhydrate benutzen. Und wir wissen alle, dass wir Kohlenhydrate brauchen, damit der Körper rund läuft. Es sind die Batterien unseres Organismus. Ist der Speicher leer und keine frei schwebende Glukose mehr im Blut, dann sind wir verwirrt, träge und können sogar ins Koma fallen. Körperliche Erschöpfung. So hart es also klingt, unser Körper braucht Zucker, um zu überleben. Es ist der Sprit, der unseren Motor am Laufen hält. Weshalb wir jeder Aussage nach dem Motto “Ich verzichte komplett auf jeglichen Zucker” mit enormer Skepsis entgegen blicken sollten. Doch was heißt das jetzt genau? Wenn zu viel Zucker schlecht ist und krank macht, aber ich Zucker brauche, um funktionieren zu können, wie mache ich es dann richtig? Warum ist die Sache mit dem Zucker so kompliziert? Willkommen bei dem Grund, weshalb viele kapitulierend die Hände in die Luft werfen, wenn es um das Thema gesunde und ausgewogene Ernährung geht. Der Mensch mag es nicht gerne kompliziert. Eine Welt, die sich nicht in eindeutig gut und schlecht einteilen lässt ist zu komplex und bringt die meisten dazu, lieber mit verschlossenen Augen da zu sitzen, als Energie in die Differenzierung zu stecken. Und denjenigen, die sich gerne informieren würden, werden Steine in den Weg gelegt mit verfälschten Forschungsberichten, unethischen Recherchestandards (allen voran Korruption und unparteiische Recherche) und Hobby-Journalisten mit der fehlenden Expertise in dem Dschungel an komplizierter und falscher Information durchzublicken. Hinzu kommt das betrügerische Lügenpack der Nahrungsmittelindustrie, welches versucht uns mit allen Mitteln vorzugaukeln, dass es gesund und besorgt um unser Wohlergehen ist. Versteckte Zuckerfallen, fehlende Aufklärung und Kampagnen rund um die gesunden Vorteile von Produkten. Trink Saft, Vitamine sind gut, du darfst ruhig einen Liter am Tag davon trinken. Natürlich ist dunkles Brot so viel gesünder als weißes Brot, hierbei handelt es sich eidneutig nicht um reguläres Weißbrot, welches mit Melasse (dunkler Zuckersirup) eingefärbt wurde. Brauner Zucker (ein Gemisch aus raffiniertem Zucker mit Melasse) ist gesünder als weißer Zucker, denn weißer Zucker ist gereinigt und brauner Zucker ist der Zucker in seiner Rohform. Iss dein Obst und Gemüse in eigenem Fruchtsaft, hierbei handelt es sich definitiv nicht um eine höhere Zuckerkonzentration, als bei dem Rohprodukt. Der süße Geschmack kommt einfach durch die Konservierung. Wie soll man als Verbraucher da noch durchblicken und sich nicht hoffnungslos verloren fühlen? Als Laie den Überblick behalten Nun, keine Sorge, so ein bisschen kann man als absoluter Neuling machen. Zucker ist Kohlenhydrate? Es gibt doch Lebensmittel, die als bessere Kohlenhydrate-Lieferanten gelten, als andere. Zuckerhaltige Getränke beispielsweise sind schlecht angesehen, doch stärkehaltige Produkte wie Nudeln und Reis sind gut. Nun, das liegt daran, dass es sich bei Nudeln um komplexe Glukose-Ketten handelt. Dadurch dass die im Darm erst einmal herunter gebrochen werden müssen, dauert es länger, bis sie in den Blutkreislauf kommen. Heißt, es kommt nicht zu dem sogenannten Zuckerschock, wo die gesamte Glukose auf einen Schlag in unserem System ist. Wir können also über längere Zeit die Energie nutzen und sind nicht darauf angewiesen, dass sie erst in der Leber verarbeitet werden müssen oder dass wir zusätzliches Fett zu uns nehmen müssen, um die Aufnahme des Zuckers zu verlangsamen. Zucker ist nicht alles Tatsächlich zeigen vereinzelte Studien, dass der Zuckerkonsum in einigen Gegenden in den letzten Jahren bedeutend zurückgegangen ist. In Australien bspw ist der gesamte Zuckerkonsum - also jegliche Form von Zucker - zwischen 1980 und 2003 um 16% gesunken - die Anzahl an Übergewichtigen Menschen jedoch hat sich in der Zeit verdreifacht. Zucker mag wohl eines der Übel sein, vor allem in einer Gesellschaft, die gewohnt ist zu viel davon zu essen, da sie über Jahrzehnte hinweg von der Lebensmittelindustrie darauf trainiert wurde. Doch nur der Zucker alleine macht es nicht. Wenn wir unsere körperliche Gesundheit verbessern wollen - und ich rede hier nicht rein vom Abnehmen, sondern von der Gesundheit und Langlebigkeit unserer Organe - dann ist eine ausgewogene Ernärhung etwas, woran wir nicht vorbei kommen. Und dazu gehört eine reduzierte Zuckeraufnahme, aber sie ist nicht alles. Lernen sich anders zu ernähren Mit dem Zucker aufhören wollen ist aber nicht schlecht oder falsch. Denn als positiven Effekt hat es, dass wir uns allgemein mehr für unsere Ernährung interessieren. Wir sind uns bewusster, was wir zunehmen und können so auch schneller andere schädliche Gewohnheiten erkennen und langsam ausmerzen. Zucker reduzieren ist ein etappenreicher Weg - und bietet viele Erfolgsmöglichkeiten Zucker reduzieren als ersten Schritt einer gesunden Ernährung ist also eindeutig nicht falsch und wirklich lobenswert. Fangen wir an bei den offensichtlichen Verdächtigen. Schokolade, Bonbons, Limonade, Kekse, Gebäck, Nutella, die bunten Frühstücksflocken. Weniger Eistee aus der Flasche und mehr Eistee zu Hause selbst gebraut - wo man den Zucker langsam reduzieren und sich an den neuen Geschmack gewöhnen kann. Kein Karamellsirup mehr im Kaffe, dann kein Zucker mehr. Einen Spritzer Ketchup weniger aus dem selbstgemachten Burger. Naturjoghurt, den man sich selbst süßen kann - durch die Zugabe von frischen Früchten oder Zucker frei nach Wahl, den man zu Hause kontrolliert reduzieren kann wie beim Tee. Durch das langsame abgewöhnen des süßen Geschmacks lässt sich der Zuckerkonsum über längere Dauer wirklich reduzieren - und man wird auch nicht mehr so schnell rückfällig. Wichtig ist, dass man nicht auf einen Schlag versucht mit allem aufzuhören. Das kann nicht klappen. Gönnen ist ok, so lange es nicht bei jeder Mahlzeit ist. Zuckerfallen Die nächste Etappe ist versteckter Zucker in Konserven und sonstigen Produkten. Die gängigen Bezeichnungen lauten hier: Apfelsüße, Dextrin, Dextrose, Dicksaft, Fruchtextrakt, Fruchtpüree, Fruchtsaftkonzentrate, Fruchtsüße, Fruktose, Fruktose-Glukose-Sirup, Fruktose-Sirup, Gerstenmalz, Gerstenmalzextrakt, getrocknete Früchte, getrockneter Glukosesirup, Glukose, Glukose-Fruktose-Sirup, Glukosesirup, Inulin, Joghurtpulver, Karamellsirup, konzentrierte Fruchtsäfte, Laktose, Magermilchpulver, Maltodextrin, Maltose, Malzextrakt, Molkenerzeugnis, Molkenpulver, Oligofruktose, Oligofruktosesirup, Polydextrose, Raffinose, Saccharose, Süßmolkenpulver, Traubensüße, Vollmilchpulver, Weizendextrin. All das sind Zucker. Wie gesagt, ein bisschen Zucker ist nicht schlimm und vor allem komplexe Glukoseverbindungen sind für den Körper besser. Doch wie will man kontrollieren, ob man jetzt schon viel Zucker zu sich genommen hat? Versteckter Zucker ist deshalb so tückisch, weil wir ihn nicht als solchen wahrnehmen. Wir essen unsere Essiggurke und sind uns nicht bewusst, dass auch hier Zucker drin ist, der sich auf unsere Tagesbilanz auswirkt. Dann und wann ein bisschen mehr Zucker ist nicht schlecht, aber wer wirklich konsequent reduzieren möchte, der sollte aufpassen, wo er sich seinen Zucker besorgt. Und stellt dann verdammt schnell fest, dass 100% ohne Zucker nur möglich ist, wenn wir anfangen Photosynthese zu betreiben. Langsam und konistent gewinnt das Rennen Machen wir uns also nicht fertig, dass wir nicht zu 100% auf Zucker verzichten können, was immer wieder in den Medien als Allheilmittel gegen alles angepriesen wird, sondern verstehen die Marketingstrategie dahinter und versuchen es einfach etwas zu reduzieren. Und bei Heißhungerattacken ausweichen auf Obst und Nüsse und eventuell sogar Gemüse. Man kann den Körper umtrainieren. Andere Alternativen der bewussteren Zuckerwahrnehmung und Ernährung Eine weitere Möglichkeit ist der seit einigen Jahren auf immer mehr Lebensmitteln erscheinende Nutri-Score. Mit dem kann man zeitgleich auf Zucker und Fett achten. Und darüber möchte ich in meinem zweiten Blog rund um das Thema gesunde Ernährung näher eingehen. Geplant ist auch ein Blog über Fast Food und Fertiggerichte und ich habe auch noch zwei weitere grobe Ideen auf dem Plan, für die ich aber noch dabei bin etwas mehr an Quellen zu sammeln. Wenn euch das Thema gesunde und vor allem bewusste Ernährung und die Tücken und Lügen der Industrie also interessieren, dann bleibt dran. |